Zwei Geschichten von der See
der Mole, Quincas jedoch blieb im Sturm, umhüllt von einem Laken aus Wogen und Schaum, wie es sein Wille gewesen war.
12
Dass der Bestattungsunternehmer den Sarg zurücknehmen könnte, erwies sich als aussichtslos, nicht einmal zum halben Preis war er dazu bereit. Sie mussten bezahlen, immerhin blieben Vanda die übrigen Kerzen. Der Sarg steht bis heute bei Eduardo im Lager, der weiterhin darauf hofft, ihn zu verkaufen, ihn einem Toten aus zweiter Hand anzudrehen. Was die letzten Worte angeht, kursieren verschiedene Versionen. Aber wer hört schon genau bei einem solchen Unwetter? Einer der Sänger vom Markt gibt sie folgendermaßen wieder:
»Inmitten der Konfusion
Hörte man Quincas sagen:
›Ein Grab, das finde ich schon,
Doch eines nach meinem Behagen.
Den Sarg, den könnt ihr behalten,
Gebt ihn dem nächstbesten Alten,
Solange ihr nur mich verschont
Mit einem Grab, das nicht lohnt.‹
Und nichts sonst erreichte die Ohren,
Jedes weitere Wort ging verloren.«
Rio, April 1959
Die Abenteuer des Kapitäns Vasco Moscoso
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Curt Meyer-Clason
Für Zelia mit ihrer Steuermannskunst und ihrer Angelrute
Für Joelson, stiller Bruder der Literatur
Für Dória und Paulo Loureiro an ihrem Meer von Maria Farinha, wo der Landwind die Kokospalmen ausreißt
»Kein Mensch kennt ihn, und nie
wird einer je ihn kennen,
denn er hat nie gelebt,
er war nicht ja, nicht nein,
wie alles, was sich regt
in unsrer Phantasie.
Fällt dir was Neues ein?«
CARLOS PENA FILHO
(» DÜSTERE EPISODE «)
»Alle Winde der Welt
trafen sich auf einer Tagung.«
JOAQUIM CARDOZO
(» TAGUNG DER WINDE «)
Erste Episode
Von der Ankunft des Kommandanten im Vorstädtchen Periperi, im Staate Bahia, vom Bericht über seine berühmtesten Abenteuer auf den fünf Ozeanen, auf See und in fernen Häfen, mit rauen Seeleuten und leidenschaftlichen Frauen, und vom Einfluss von Chronometer und Teleskop auf die friedliche Vorstadtgemeinde
Wie der Erzähler dank gewisser früherer, angenehmer Erfahrungen darangeht, die Wahrheit vom Grunde des Brunnens heraufzuholen
Meine Absicht, meine einzige Absicht – glaubt es mir! – geht dahin, die Wahrheit wiederherzustellen. Die vollständige Wahrheit, und zwar dergestalt, dass keine Zweifel über den Kommandanten Vasco Moscoso de Aragão und seine ungewöhnlichen Abenteuer bleiben.
»Die Wahrheit ruht auf dem Grunde eines Brunnens«, habe ich einmal gelesen – ich weiß nicht mehr, ob in einem Buch oder in einer Zeitung. Jedenfalls habe ich es gedruckt gesehen, und wie darf man an einer gedruckten Behauptung zweifeln? Ich jedenfalls pflege den Wert von Literatur und Zeitungsschriftstellerei nicht in Frage zu stellen, geschweige denn abzulehnen. Und als ob das nicht genügte, haben verschiedene Personen diesen Ausspruch mir gegenüber wiederholt, ohne auch nur den geringsten Zweifel daran aufkommen zu lassen, ob die Wahrheit, statt in einem Brunnen, nicht vielleicht in einem besseren Unterschlupf zu finden sei, etwa in einem Palast: »Die Wahrheit wohnt im Königspalast«, oder in einem Busen: »Die Wahrheit verbirgt sich im Busen einer schönen Frau«, oder endlich im Volk: »Die Wahrheit ist beim Volk zu suchen«. Alles Aussprüche, die meiner Meinung nach ansprechender, anmutiger sind, und nicht jenes dunkle Gefühl von Verlassenheit und Kälte auslösen, das dem Wort Brunnen anhaftet.
Der hochverdiente Herr Dr. Siqueira, Richter im Ruhestand, ein achtbarer, redlicher Bürger mit schimmernder Gelehrtenglatze, hat mir auseinandergesetzt, dass es sich dabei um einen Gemeinplatz handle, das heißt, um etwas so Augenscheinliches und Selbstverständliches, dass das Wort sich in ein Sprichwort, in ein Allerweltsschlagwort verwandelt habe. Dann fügte er mit seiner ernsten, entschiedenen Stimme eine merkwürdige Einzelheit hinzu, nämlich: die Wahrheit ruhe nicht nur auf dem Grund eines Brunnens, vielmehr liege sie dort völlig nackt, ohne dass ein Schleier auch nur die schamhaftesten Teile ihres Leibes bedecke. Auf dem Grunde des Brunnens und nackt.
Senhor Dr. Alberto Siqueira ist die gesellschaftliche Spitze, der kulturelle Höhepunkt der Vorstadt Periperi, die wir bewohnen. Er ist es, der am zweiten Juli auf dem kleinen Platz oder am siebten September in der Volksschule die Ansprachen hält, nicht zu reden von anderen weniger bedeutenden Anlässen oder von Geburtstags- und Taufreden. Vieles von dem wenigen, was ich weiß,
Weitere Kostenlose Bücher