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Zwei Geschichten von der See

Zwei Geschichten von der See

Titel: Zwei Geschichten von der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Amado
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zu tun, viel Lachen zu lachen, viel Ehrgeiz zu befriedigen, viel Leben zu leben.
    In Periperi war es anders: Hier bestand das Leben nicht aus Arbeit und Kampf, das Leben, das man hier lebte oder verlebte, war nicht aus Ehrgeiz und Schwierigkeiten, aus Liebe und Hass, aus Hoffnung und Hoffnungslosigkeit gemacht. Hier zog sich die Zeit in die Länge, nichts trieb sie voran, die Ereignisse dauerten eben ihre Dauer. Und das Längste von allen war der Tod, er war nie alltäglich und rasch, sondern stets glänzend und langwierig, ein Tod, der mit seinem Kommen jeden Anschein von Leben im Ort auslöschte. Begannen sie, die Rentner und Privatiers, denn nicht schon zu sterben, wenn sie dort eintrafen, getragen von dem Wunsch, so lange wie möglich zu leben, ihre Jahre zu verlängern, fernab von Trubel und Trieben? Hier war ein Völkchen von alten Leuten beieinander, ohne jedes andere Interesse als das eigene nackte Leben, und der Tod eines von ihnen tötete auch ein wenig alle anderen, und sie wurden niedergeschlagen und melancholisch.
    Dann wurde seltener Dame und Tricktrack gespielt, manch einer ging sogar nicht mehr vor die Türe, die Kümmernisse anderer wurden bitterer, die Tage waren traurig und die spärlichen Unterhaltungen melancholisch. Nur langsam gelang es, den Schatten des Todes zu verwischen, ihn endlich durch ihren Lebensrest, durch die einzige Sehnsucht und Liebe zu vertreiben, die ihnen noch verblieb: durch das Verlangen, nicht zu sterben. Nun kehrte das müde Lächeln wieder, der kleinliche Ehrgeiz, eine Partie auf dem Spielbrett zu gewinnen, die Esslust; wieder belebten sich die Plauderstündchen am Bahnhof, auf dem Platz, und nun, seit neuestem, im abendlichen Wohnzimmer des Kommandanten.
    Schwach und zerbrechlich waren die Mauern der Interessen, die ihnen den Tod zu verheimlichen, die sie gegen seine lastende Gegenwart zu verteidigen, die ihnen die Augen vor seinem düsteren Anblick zu beschützen vermochten.
    Der Kommandant war bei der Totenwache gewesen. In seinem Rock aus blauem Wollstoff mit Metallknöpfen, mit seiner Pfeife und seiner Seemannsmütze; vielleicht weil er erst seit kurzem im Städtchen wohnte, trat er jedoch nicht etwa gebeugt und niedergeschlagen ein, als wäre jener Leichnam nur der Prolog zu seinem eignen Tod … Vielmehr blickte er in das ausgehöhlte Gesicht Doninhas, die er zu Lebzeiten nie gekannt hatte, und bemerkte, fast lächelnd:
    »Man sieht, dass sie als junges Mädchen sehr schön gewesen sein muss …«
    Es war eine schläfrige, schweigsame Totenwache. Ein jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, man sah sich selbst bereits in einem Sarg ausgestreckt, zwischen übelriechenden Kerzen, Blumen am Fußende, für immer ausgelöscht. Dann und wann erzitterte der eine oder andere, die Angst saß jedem Einzelnen in den Knochen, die Todesangst. Man dachte nicht an Doninha, an ihre Jugend, an ihre längst entschwundene, zweifelhafte Schönheit. Die Bemerkung des Kommandanten riss sie aus ihrer Benommenheit. Marreco, der die Verstorbene in ihrer Jugend gekannt hatte, kramte in seinem Gedächtnis:
    »Ja, sie ist verdammt hübsch gewesen.«
    Der Kommandant setzte sich, schlug die Beine übereinander, zündete seine Pfeife an – nicht die aus Meerschaum, die wäre für eine Totenwache unpassend gewesen, es war eine schwarze Pfeife mit gebogenem Mundstück, blickte umher und sagte so hin:
    »Das Gesicht der Verblichenen erinnert mich, ich weiß nicht, warum, an eine arabische Tänzerin, die ich vor vielen Jahren gekannt habe, als ich auf einem holländischen Frachter fuhr. Ihretwegen hätte mein Steuermann, ein Schwede namens Johann, um ein Haar sein Leben verspielt … Ich habe ihn aber retten können …«
    Wer viel gelebt hat, ist so geartet: jedwede Tatsache, Landschaft, jeder Gesichtszug erinnert ihn an etwas aus seiner Vergangenheit, an eine Liebesgeschichte, an ein Flussufer, an das Antlitz eines Menschen. Sah der Kommandant im ausgemergelten, verhutzelten Gesicht Doninhas, in dem die anderen nur den Tod sahen, nicht das brünette Antlitz und das lange schwarze Haar Soraias, der Sünderin, der morbiden Tänzerin mit ihren feurigen Lippen? Jene, für die Johann, der leidenschaftlich verliebte schwedische Erste Offizier, sich in Schulden stürzte, versilberte, was auf dem Schiff nicht niet- und nagelfest war, und sich sogar das Leben nehmen wollte? Nun füllte Soraia im Tanzschritt den Raum, während der Kommandant angestrengt die exotische Weise des betörenden Tanzes in

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