Zwei Geschichten von der See
schon trat Stille ein, die seine Schritte begleitete. Unruhig geworden, vermochte Zequinha Curvelo nicht zu widerstehen:
»Ich werde eine Unterhaltung mit ihm anfangen …«
»Sieh zu, dass du den Mann zu einem Schwatz herlotst …«
»Will sehen, was ich tun kann.«
Und schon lief er mit raschen Schritten hinter dem Kommandanten drein.
»Der Mann muss ein Wissen haben wie ein Wörterbuch …«, meinte Marreco. Inzwischen hatten der Kommandant und Zequinha kehrtgemacht und kamen in Richtung auf die Gruppe zurück. Zequinha deutete auf die Nachbarn, wahrscheinlich gab er Auskunft über Namen und Titel der Versammelten.
»Bitte, kommen Sie doch ein wenig zu uns …«
Angeregt stand man von Stühlen und Bänken auf. Zequinha begann mit der Vorstellung, der Kommandant schüttelte kräftig die hingehaltenen Hände:
»Ein alter Seemann, zu Diensten …«
Man bot ihm den pompösen Lehnstuhl des alten José Paulo an. Er nahm zwischen dessen Nachbarn Platz, zog einmal kräftig an seiner Pfeife – aller Augen starrten auf die Pfeife, deren nackte Frauenschenkel und -brüste nie geahnte Wollüste zu verheißen schienen – und vertraute seinen Zuhörern mit seiner etwas heiseren Stimme an:
»Ich habe mich hier niedergelassen, weil ich nie zwei so ähnliche Orte gesehen habe wie Periperi und Rasmat, eine Insel im Pazifik, auf der ich ein paar Monate gelebt habe …«
»Im Sommerurlaub?«
Der Kommandant lächelte:
»Als Schiffbrüchiger … Zu jener Zeit war ich noch Zweiter Offizier auf einem griechischen Frachter …«
»Mit Verlaub, Herr Kommandant, einen Augenblick, einen Augenblick … Warten Sie bitte, bevor Sie anfangen …« Es war Augusto Ramos, der den Sprecher unterbrach. »Lassen Sie mich bitte meine Frau holen. Sie liebt es, Geschichten zu hören …«
Wie die sinnliche Tänzerin Soraia und der rohe Seemann Giovanni an der Totenwache und Beerdigung der alten Doninha Barata teilnahmen
Nicht einmal der – übrigens seit Monaten erwartete – Tod der Doninha Barata, der Witwe des Astrogildo Barata, eines im Ruhestand lebenden Beamten des Wasserwirtschaftsamtes, vermochte das durch die Ankunft und den Einzug des Kommandanten erweckte Interesse abzuschwächen.
Äußerlich hatte sich nichts geändert, Totenwache und Beerdigung gehorchten dem gewohnten Zeremoniell. Unbestimmte Verwandte waren aus der Stadt erschienen, es kam Pater Justo aus Plataforma, um den Leichnam einzusegnen; die Frauen plünderten ihre Gärten nach Blumen, die Männer zogen für die Trauerfeier Stiefel an und banden Krawatten um. Und doch war ein feiner, kaum merklicher Unterschied zu beobachten, als machte sich die Gegenwart des Todes diesmal nicht so grausam bemerkbar, als weilte der Tod diesmal kürzere Zeit unter ihnen. Denn wenn der Tod in langen Abständen seinen Einzug in Periperi hielt, ging er nach Beendigung seiner schaurigen Arbeit nicht sogleich wieder fort. Vielmehr blieb er nach der Beerdigung noch ein Weilchen da, sein eisiger Schatten glitt über die Rentner und privatisierenden Geschäftsleute, über deren gebeugte Ehefrauen, und die Herzen verkrampften sich, als presste die Klaue des Todes sie zusammen, um sie zu erproben: Die Brise verlor ihre zarte Liebkosung, man fühlte den düsteren Todeshauch über den angstgekrümmten Rücken huschen. Wen würde er bei seinem nächsten Besuch mitnehmen?
In der Stadt, in Bahia, trat der Tod ganz anders auf, dort gab er rasche alltägliche Gastspiele: in Gestalt von furchtbar rollenden Autorädern, in einem Krankenhausbett, in den Zeitungsspalten, die Unglücke und Verbrechen bekanntgaben. Dort war er leichtfertig, zweitklassig, bisweilen verdiente er kaum zwei Zeilen im »Stadtanzeiger« und verschwand in all dem Leben, dem Lärm und Kampf, die ihn umgaben; für ihn war kein Platz in den hastigen Herzen, sein Schatten löste sich im Lichtergewirr auf, und das Lachen übertönte sein Gemurmel. Sein modriger Atem – wie sollten die Frauen ihn spüren, die in Düften schwelgten, die in heißen Wellen der Begierde schwebten? Dort, in der Großstadt, ging der Tod unbemerkt vorüber, er führte seine Arbeit aus und verschwand, inmitten von so viel Lebenslust und -drang war kein Platz, keine Zeit für ihn übrig.
»Der Dingsda ist gestorben«, hieß es in der Zeitung, im Rundfunk, in den Unterhaltungen. Man sagte: »Der Arme!«, »Armer Teufel!«, »’s war auch an der Zeit!« oder: »Er war noch so jung!«, und damit war die Sache erledigt, man hatte Wichtigeres
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