Zwei Geschichten von der See
dreißig Tage wie Gott in Frankreich. Vasco lud sie täglich zum Abendessen ein, zahlte ihnen Aperitifs, die teuersten portugiesischen Weine und Soupers in der Pension Monte Carlo. Nach und nach beherrschte er die Antworten und machte sich mit den verrückten Namen der Schiffsinstrumente vertraut. Eines Tages zeigte Leutnant Mário ihm im Hafenamt eines jener Instrumente, die Vasco begeisterten. Sie erschienen ihm schön, fesselnd, schon begann er, seinen neuen Beruf zu lieben.
Das Schlimmste von allem war, dass er mit der eigenen Handschrift die von Leutnant Mário aufgesetzte Prüfungsarbeit abschreiben musste, sein »Staatsexamen«, wie er sie nannte. Es waren zweiunddreißig Seiten eines unverständlichen und von Verbesserungen strotzenden Textes, als wäre der junge Mann nicht Marineoffizier, sondern Arzt. Er verbrachte seine Vormittage beim Abschreiben hinter verschlossenen Türen, das Hausmädchen hatte strengste Anweisung, niemanden vorzulassen.
Nach abgelieferter und gutgeheißener Arbeit wurde schließlich der Tag für die mündliche Prüfung bestimmt. Es war eine feierliche Zeremonie, an der der Herr Oberst in Uniform, Dr. Jerônimo und Leutnant Lídio Marinho teilnahmen. Marinesoldaten mit aufgepflanztem Bajonett standen Wache vor der Türe des Zimmers, in dem die Prüfungskommission ernst und förmlich hinter dem mit nautischen Instrumenten und Seekarten bedeckten langen Tisch Platz nahm. Bleich und erregt wurde Vasco von einem Matrosen hereingeführt und murmelte rasch noch einmal die Fragen und Antworten vor sich hin. Er hörte seinen Namen von Georges mit Nachdruck aufgerufen, er trat vor, setzte sich mit wild schlagendem Herzen steif auf den vor dem Tisch platzierten Stuhl. Aber die Antworten kamen ihm leicht und richtig, fehlerlos, sogar ohne einen Schnitzer in der Aussprache über die Lippen.
Nach lückenlos bestandener Prüfung wurde Vasco das Diplom überreicht, wurden Name und Anschrift des neugebackenen Kapitäns auf großer Fahrt in einem Buch der Hafenkommandantur eingetragen; bei jeder Wohnungsveränderung müsse der Herr Kapitän seine neue Adresse dem Hafenamt mitteilen. Es war ein dickleibiger Band, grün eingebunden und mit dem Wappen der Republik geschmückt. Auf jeder Seite stand ein Name, das Datum des Wettbewerbs, die erzielte Bewertung, außerdem Zahlen und Anmerkungen, Alter, Personenstand und Adresse des Patentinhabers. Nur wenige Seiten waren ausgefüllt, nur wenige Namen standen vor Vascos Eintragung. Die meisten Namen waren nur Besitzer eines »Gummibriefes«, wie das Kapitänspatent für Flussschifffahrt genannt wurde, für dessen Erwerb keine schriftliche Arbeit, sondern nur eine mündliche Prüfung erforderlich war. Diese Titel wurden für die Kapitäne von Dampfern des Flusses São Francisco erteilt; ihnen waren die Seefahrt und die Seerouten verschlossen. Vascos Titel war ein echtes Kapitänspatent, das seinen Inhaber befugte, Flüsse, Seen und Meere zu befahren, Schiffe aller Nationalitäten und Flaggen auf allen Seewegen der fünf Ozeane zu führen. Es fußte auf dem internationalen Seerecht und der Kenntnis der astronomischen Navigation.
»Nun«, sagte der Oberst, als alles vorbei war, »nun werden wir feiern. Kapitän Vasco Moscoso de Aragão, Löwe der Meere, geh ans Ruder, führ uns zu den Huren!«
Wie man einen alten Seemann macht, ohne Schiff und Seefahrt
Nie ist in der Geschichte der Navigation der Titel eines Kapitäns auf großer Fahrt so geehrt, so eifrig benutzt worden wie der von Vasco Moscoso de Aragão mit seinem goldgerahmten Diplom an der Wohnzimmerwand, mit seinem Gehabe eines erprobten Seebären.
Eilends ließ er Visitenkarten drucken, auf denen vor seinem Namen der Titel, hinter ihm seine Stellung stand. Dann machte er in den Häusern von Verwandten, Freunden und Bekannten, die er auf Palastsoirées und Empfängen kennengelernt hatte, Besuch und hinterließ seine Karte mit den Grüßen des Kommandanten Vasco Moscoso de Aragão, Kapitän auf großer Fahrt.
Nun forderte er stets die Nennung seines Titels und gab sich nicht mehr mit dem beschämenden »Seu« vor seinem Namen zufrieden.
»Wie geht’s, Seu Vasco?«
»Entschuldigen Sie, mein Freund. Kommandant Vasco, Kapitän auf großer Fahrt.«
»Ich wusste es nicht. Verzeihung!«
»Drum sage ich’s Ihnen. Damit Sie’s nicht vergessen.«
Damit überreichte er seinem Gegenüber eine Visitenkarte, von denen er, insbesondere in den ersten Zeiten, eine große Menge verbrauchte.
Wenn in den
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