Zwei Geschichten von der See
Kapitän auf großer Fahrt, gewöhnt sich im Wellensog an die Unbeständigkeit des Meeres und des Wetters; sie prägen seinen Charakter und stählen sein Herz, sie befähigen ihn, Enttäuschung und Bitternis lächelnd hinzunehmen.
Die größte Bitternis, die erste, die ihn traf, war die Versetzung des zum Kommandanten eines Zerstörers beförderten Georges Dias Nadreau. War das nächtliche Bahia, waren Bordelle und Vergnügungspensionen, das Bohèmeleben, die Frauen, der Zauber der Liebe ohne die Gegenwart des semmelblonden Seemanns mit seinen himmelblauen Augen vorstellbar, waren sie ohne die Scherze, lustigen Einfälle und kurzweiligen Spöttereien des Freundes denkbar, der stets mit einer Schwarzen oder dunklen Mulattin beim Anbandeln war? Als die Nachricht unter den leichten Mädchen und Nachtschwärmern bekannt wurde, waren alle wie vor den Kopf geschlagen, es gab Tränen, und schon dachte man an ein Abschiedsfest, das Georges’ würdig war.
»Kopf hoch, Kommandant!«, sagte Georges zu Vasco, als er ihn am Abschiedsabend niedergeschlagen und wortkarg sah. »Ein Seemann lässt sich nicht von Traurigkeit unterkriegen.«
Am nächsten Tag begleiteten ihn alle an Bord des Passagierdampfers, der nach Rio abfuhr, und sahen zum ersten Mal Gracinha, seine Frau, in tiefer Trauer, das ausgezehrte, von einem schwarzen Schleier bedeckte Gesicht, die fest verschlossenen Lippen. Als die Freunde ihr vorgestellt wurden, streckte sie ihnen zwei eiskalte Fingerspitzen entgegen. Vasco begriff, dass die vom ehemaligen Hafenkommandanten am Vorabend gesprochenen Worte nicht ohne Sinn waren. »Ein Seemann lässt sich nicht von Traurigkeit unterkriegen.« Georges’ Worte gewannen plötzlich einen greifbaren Sinn, denn er selbst hatte sich nicht der Traurigkeit gebeugt, hatte sich nicht unterkriegen lassen.
Man schlenderte in die Stadt zurück, man spielte eine Partie Billard, aber das Vergnügen war vorbei. Georges’ Abwesenheit machte sich in der Bar, dann in der Pension Monte Carlo fühlbar, mit einem Mal war die Nacht leer.
Schon ein Jahr zuvor hatte Leutnant Lídio Marinho geheiratet und sich dadurch eine Zeitlang dem Kreise entzogen. Aber alle wussten, dass seine Abwesenheit nur vorübergehend sein, dass er wiederkehren würde, sobald sein Eheleben in normale Bahnen gelenkt war; so geschah es denn auch. Nach dem Dienst im Palast erschien er wieder beim Billard und verbrachte die meisten Abende nach dem Nachtmahl wieder mit ihnen zusammen, er tanzte wieder in der Pension und führte seine amourösen Abstecher fort. Seine Frau war dazu da, ihm Kinder zu schenken, das Haus zu versorgen und Besuche zu empfangen. Georges indessen war für immer fort, bei ihm war nicht mit einer Rückkehr zu rechnen, er würde sich in Rio einen neuen Kreis schaffen, Berufskollegen und neue Freunde finden. Die Nacht wollte nicht herumgehen, aber Vasco erinnerte sich an Georges’ Worte und sah Gracinhas jammervolle Gestalt vor sich; daher munterte er die anderen auf – ein Seemann lässt sich nicht unterkriegen.
Der neue Hafenkommandant, von dem der Freundeskreis sich einen würdigen Nachfolger Georges’ erhoffte, traf erst Monate später ein und erwies sich als restlose Enttäuschung; er war ein ungeselliger Kumpan, der auf Freundschaften keinen Wert legte, nächtlichen Bummeleien und Freudenmädchen abhold und obendrein umsichtig und bedächtig war. Vasco stellte seine Besuche im Hafenamt ein.
Dafür fuhr er jedoch fort, im Hafen den einlaufenden Schiffen zuzusehen, ihre Schönheit zu bewundern und ihre Flaggen auszumachen; alle nur erreichbaren nautischen Instrumente und Drucke von Schiffen zu erwerben; jeden Abend mit Jerônimo und dem Obersten seine Pokerspielchen zu absolvieren und sich im Übrigen in neue Weiber zu vergaffen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er soeben die vierzig überschritten, mittlerweile hatte sich alle Welt daran gewöhnt, ihn »Herr Kapitän« zu nennen.
Die Regierungszeit des Gouverneurs ging ihrem Ende entgegen, es war ein melancholisches Ende, weil der Präsident der Republik unter dem Einfluss anderer Persönlichkeiten seiner Partei den erwarteten Nachfolger abgelehnt, ihm einen anderen zur Nachfolge aufgezwungen und ihm dabei fast den Sitz des Senators verweigert hatte, auf den Gouverneure, deren Mandat abgelaufen war, traditionsgemäß Anspruch hatten. Er erlangte zwar seinen Sitz, aber die Abgeordnetenschaft Jerônimos und seine politische Laufbahn fielen dabei ins Wasser. Jerônimo bekam zwar einen Posten im
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