Zwei Herzen im Winter
nicht aufgefallen. Aber grade eben … aus der Nähe, nun ja, da bemerkte ich eine erstaunliche Ähnlichkeit mit …“
„Wage es nicht, ihren Namen auszusprechen, Guillame. Niemals!“
Emmelines Augen weiteten sich vor Erstaunen, als sie der Burg von Torigny ansichtig wurde. Die mächtige Festung thronte hoch auf dem Plateau einer senkrecht aufragenden Felsenwand über bewaldeten Hügeln, sie schien direkt aus dem Gestein zu wachsen. Die grauen Mauern glänzten im Regen. Auf den Zinnen der vier mächtigen Türme waren die Eisenrüstungen der Wachtposten zu erkennen. Die roten Banner mit dem Wappen der Kaiserin und ihres Gemahls Comte Geoffrey de Anjou flatterten im Wind und bildeten die einzigen Farbtupfer in der düsteren und nebelverhangenen Landschaft. Hinter der Burgfeste, einem imposanten Symbol der Macht, schmiegten sich die Hütten und Ställe des Dorfes von Torigny an den Fuß des Felsens, von den Strohdächern stiegen Rauchsäulen in die hereinbrechende Dämmerung hinauf.
Emmeline holte stockend Atem, worauf ihr Pferd zum Stehen kam, als spüre die Stute die Beklommenheit der Reiterin. Der anhaltende Nieselregen war durch ihren Umhang gedrungen und durchnässte mittlerweile den dünnen Stoff ihres Bliauts .
„Wie gelangen wir denn da hinauf?“, rief sie dem vorausreitenden Lord Talvas zu und spähte suchend die steilen Felswände hinauf.
„Wir reiten durchs Dorf zur anderen Seite. Dort führt ein Weg zum Burgtor“, erklärte er. Sein Ledersattel knirschte leise, als er sich mit einer halben Drehung nach ihr umwandte. „Von dieser Seite gibt es keinen Zugang zur Festung.“ In der zunehmenden Dämmerung konnte sie seine Gesichtszüge kaum erkennen, nur das Blitzen seiner blauen Augen und den Anflug eines Lächelns. Emmeline fröstelte, ihre Muskeln schmerzten nach dem langen Ritt. Talvas schien ihre Nervosität zu bemerken. „Habt Ihr Bedenken?“, fragte er leise. „Ziemlich Furcht einflößend, nicht wahr? Genau wie seine Besitzerin.“
„Wollt Ihr mir Angst machen?“, entgegnete Emmeline mit fester Stimme und versuchte, ihr Unbehagen abzuschütteln. Sie rieb sich den Nacken und drückte den Rücken durch, um die Muskelverspannungen zu lösen.
„Nein, Madame, ich will Euch nur vorbereiten auf das, was Euch erwartet. Kommt, wir wollen das Burgtor erreichen, bevor es Nacht wird.“ Mit leichtem Schenkeldruck spornte sie ihr Pferd an. Insgeheim war sie froh um die Begleitung der Ritter, die ihr anfänglich so zuwider war, da sie wohl kaum den Mut aufgebracht hätte, sich allein überhaupt in die Nähe dieser mächtigen Festung zu wagen.
Hinter dem Dorf begann der steile Aufstieg zum Burgtor, und schon bald rutschten die Hufe der Pferde auf dem nassen Kopfsteinpflaster.
„Wir steigen ab“, erklärte Talvas und schwang sich aus dem Sattel, „um den Pferden den Aufstieg zu erleichtern.“ Emmeline nickte und äugte ängstlich in den tiefen Abgrund neben dem schmalen Pfad. Ein einziger Fehltritt – und Ross und Reiter wären rettungslos verloren. Am äußeren Turmhaus hielten zwei bewaffnete Soldaten Wache, die über ihren glänzenden Rüstungen scharlachrote Umhänge mit dem Wappen von König Henry trugen. Zwei goldene Löwen mit mächtigen Mähnen flankierten das königliche Wappen. Der eine repräsentierte England, der zweite die Normandie. Beide Wachen gingen in Habachtstellung, als sie Lord Talvas erkannten, der an Emmelines Seite das schwere Fallgitter passierte. Guillame wurde von ihnen mit Handschlag begrüßt.
„Talvas, Mylord Talvas!“ Ein hagerer, vornehm gewandeter Edelmann eilte den Ankömmlingen durch den Innenhof entgegen, während Stallburschen herbeirannten, um die Pferde zu übernehmen und wegzubringen.
„Earl Robert!“, erwiderte Talvas den Gruß mit unbewegter Miene, nahm den Hut ab und fuhr sich durch die schwarze Lockenmähne. Sie glänzten im flackernden Schein der Fackel, die ein Diener dem Earl vorantrug. „Ich hatte keine Ahnung, Euch hier in Torigny anzutreffen.“
„Wo immer Ihr der Kaiserin begegnet, findet Ihr mich in ihrer Begleitung“, erklärte Earl Robert mit einem gewinnenden Lächeln.
„Eure brüderliche Treue ist bewundernswert“, entgegnete Talvas mit ausgesuchter Höflichkeit.
„Und sie wird bisweilen auf eine harte Probe gestellt.“ Earl Roberts flinker Blick erfasste Emmeline, deren bleiches Gesicht unter der weiten Kapuze halb verborgen war. Er musterte sie mit wachem Interesse von Kopf bis Fuß. „Den Ritter kenne ich.“ Der Earl
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