Zwei Herzen im Winter
anbieten?“ Er beobachtete, wie die Röte ihrer Wangen sich allmählich verflüchtigte. Offenbar war es ihr unangenehm, von ihm berührt zu werden.
Emmeline nahm ihren Beutel zur Hand. „Danke nein, ich habe genug zu essen.“
„Dann setzt Euch.“ Talvas wies mit dem Arm auf den ausgebreiteten Umhang.
Sie scheute sich, die paar Schritte unter seiner scharfen Musterung zu gehen, aus Furcht, er würde ihr Hinken bemerken.
„Nur Mut“, drängte er. „Guillame beißt nicht.“ Er ging zu seinem Pferd und löste den Trinkschlauch vom Sattel. Hastig setzte sie sich in Bewegung und stolperte in ihrer Eile, den Umhang zu erreichen, bevor Talvas sich wieder umdrehte. Guillame, der bereits genüsslich an seinem Hühnerbein nagte, schien ihr Ungeschick nicht bemerkt zu haben.
„Und welche Geschäfte führen Euch nach Torigny?“, fragte Talvas beiläufig, als er sich auf seinem Umhang unter einer ausladenden Eiche niederließ und sein Essen auswickelte. Er streckte seine langen Beine von sich, die in rehbraunen, eng anliegenden Wollhosen steckten, vom Knie bis zu den Stiefeln mit breiten Lederriemen verschnürt.
„Das ist meine Sache“, antwortete sie kurz angebunden, nestelte weiter an der steifen Lasche ihres Lederbeutels und mied seinen fragenden Blick. Der Schmerz in ihrem Knöchel war zu einem dumpfen Pochen abgeflaut, auch die Enge in ihrer Brust ließ nach, und sie atmete wieder freier.
Talvas lachte, und die feinen Fältchen um seine Augenwinkel vertieften sich. Belustigt schüttelte er den Kopf über ihre Einsilbigkeit. „Dann lasst mich raten“, meinte er, lehnte den Rücken gegen die schrundige Rinde des alten Baums, verschränkte die Arme und zog spöttisch die Brauen hoch. „Also, Guillame, wir haben es mit einer ungewöhnlichen Frau zu tun, die offenbar nach ihren eigenen Regeln leben will, ohne an ihre eigene Sicherheit, geschweige denn an Sitte und Anstand zu denken.“
Emmeline holte Luft, um zu protestieren, aber Talvas hob abwehrend die Hand. „Moment, Madame, ich bin noch nicht fertig.“ Nach einer Pause fuhr er fort: „Sie besitzt ein Handelsschiff, ihr Leben spielt sich am Hafen ab unter Kaufleuten und Seefahrern. Und sie reist ohne männlichen Schutz durch die Wildnis. Aus welchem Grund wohl?“
„Um Verwandte zu besuchen?“, schlug Guillame vor und kaute an einem Stück Brot.
„Oder um eine Person aufzusuchen, die sie gar nicht kennt?“, spann Talvas den Gedanken weiter, legte den Kopf seitlich und lächelte mit einem teuflischen Funkeln in den Augen.
„Ihr wisst Bescheid!“ Emmeline verengte die Augen. Sie verabscheute die Art, wie er sich lustig über sie machte.
„Ich habe nur geraten und erhalte umgehend die Bestätigung“, entgegnete er gedehnt.
Ein rosiger Hauch überflog ihre Wangen. „Ich habe zufällig gehört, wie Euer Gefährte sagte, dass die Kaiserin ein Schiff braucht, und ich dachte …“
„Ihr dachtet, leichtes Geld damit zu verdienen“, beendete er ihren Satz.
Emmeline warf ihm einen finsteren Blick zu. Er tat geradeso, als handle sie aus reiner Gewinnsucht, als wolle sie der Kaiserin etwas aufschwätzen. „Ich dachte, wir könnten uns gegenseitig helfen“, erklärte sie und senkte den Blick auf den Apfel, den sie aus dem Beutel geholt hatte.
Talvas legte den Kopf in den Nacken, setzte den Trinkschlauch an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck, wischte sich den Mund am Ärmel ab und reichte den Schlauch an Guillame weiter, bevor er sie mit einem vorwurfsvollen Blick durchbohrte. Habgieriges Frauenzimmer! Sie sind alle gleich, diese Weiber, dachte er. Hinter ihrer Schönheit verbargen sich kalte Herzen – geldgierige Raffsucht, die vor nichts zurückschreckte, um ihre eigensüchtigen Ziele zu erreichen. Gold schien das Einzige zu sein, was sie glücklich machte. Für sie zählte sonst nichts, nicht Liebe, Vertrauen oder Freundschaft. Er beobachtete, wie Emmelines kleine weiße Zähne in den Apfel bissen, betrachtete ihre feingliedrigen Finger, ihr schmales Handgelenk unter dem grob gewebten braunen Wollstoff.
Die Frau, die er vor vielen Jahren heiraten wollte, hatte ihn wegen Gold und Reichtum verlassen. Er hätte ihre Ambitionen von Anfang an durchschauen müssen, vom ersten Augenblick an, als er der blonden Schönheit im Haus seiner Eltern in Boulogne begegnet war, aber seine Torheit hatte ihn blind gegen ihren wahren Charakter gemacht. Sie hatte damals seiner Mutter als Zofe gedient und sich vorgenommen, ihn zu verführen. Und er, der
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