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Zwei Herzen im Winter

Zwei Herzen im Winter

Titel: Zwei Herzen im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MERIEL FULLER
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eilig die Stufen hinauf. Talvas’ Blick wanderte im Halbdunkel über die verlockenden Rundungen ihrer zierlichen Gestalt, den aufreizenden Schwung ihrer Röcke. Als sie sich zu ihm umdrehte, ihr Gesicht ihm so nahe war, hatte ihre Schönheit ihn unvermutet zurückversetzt in seine unbeschwerten Jugendjahre vor seiner unseligen Verlobung. Ein flüchtiger Glücksmoment ließ ihn vergessen, wer er war, was er erlitten hatte. Die Strahlkraft ihrer grünen Augen, ihr bezauberndes Antlitz, ihr sprühendes Temperament, all das hatte ihn in ihren Bann hingezogen mit einer Macht, auf die er nicht gefasst war, ein betörender Zauber, dem er widerstehen musste. Und er würde dieser Frau widerstehen.

5. KAPITEL
    Nach der Dunkelheit im Stiegenhaus blinzelte Emmeline ins hell erleuchtete Söllergemach. In andächtigem Staunen blickte sie sich um und glaubte sich in ein Märchen versetzt. Kostbare Wandteppiche, auf denen farbenfrohe Szenen königlicher Jagdgesellschaften dargestellt waren, hingen an den Wänden. Auf einem breiten Baldachinbett lagen weiche Pelzdecken. Reich bestickte Bettbehänge wurden von Goldkordeln gehalten. In den Ecken standen mehrarmige hohe Kandelaber, in denen dicke honigfarbene Kerzen brannten. Unter einem hohen Rundbogenfenster, das mit einem Holzladen gegen die Kälte verschlossen war, spielten ein Säugling und ein etwa zweijähriger Knabe unter Aufsicht einer drallen Hofdame auf einem weichen Teppich.
    Kaiserin Maud saß auf einem reich geschnitzten Lehnstuhl mit Armstützen in der Mitte des Gemachs, den Kopf zur Seite geneigt, und lauschte andächtig dem Harfenspiel einer anderen Hofdame. Ihre Lider waren gerötet und geschwollen, als habe sie geweint. Eine dritte Hofdame beugte sich über sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Maud hob den Kopf und richtete den stechenden Blick ihrer braunen Augen zur Tür. Ihre Gesichtszüge hellten sich augenblicklich auf, als sie die Besucher erkannte.
    „Earl Robert.“ Sie streckte ihrem Halbbruder die Hand entgegen, an jedem ihrer wulstigen Finger funkelte ein mit Edelsteinen besetzter Ring. Earl Robert durchquerte den Raum mit langen Schritten, machte einen Kniefall und küsste die erlauchte Hand seiner Halbschwester. Der Blick der Kaiserin flog über Emmelines Kopf hinweg zu Talvas. „Und Lord Talvas!“, rief sie entzückt. „Tretet näher, Mylord! Ich hatte seit Monaten nicht das Vergnügen, Eure Gesellschaft zu genießen.“ Auch Talvas machte einen Kniefall und küsste die Fingerspitzen der Kaiserin.
    „Es ist mir eine Ehre, von Euch empfangen zu werden, Mylady“, grüßte Talvas formvollendet. „Ich bedaure nur, dass mein Besuch zu diesem traurigen Anlass erfolgt.“
    Der Blick ihrer flinken Augen flog zwischen ihrem Halbbruder und Lord Talvas hin und her. „Der Earl hat Euch also bereits die traurige Botschaft überbracht.“ Ihre Augen glänzten feucht.
    Emmeline, immer noch auf der Schwelle verweilend, dem Blick der Kaiserin durch die Rücken der beiden Ritter entzogen, lauschte aufmerksam und war sich der unterschwelligen Spannung im Raum wohl bewusst. Die Hofdamen, die in ihren farbigen Gewändern wie bunte Blumen verstreut im Gemach herumsaßen, augenscheinlich vertieft in ihre jeweilige Beschäftigung, spitzten die Ohren, um sich kein Wort entgehen zu lassen. Als Emmeline von einem Fuß auf den anderen trat, um das Gewicht von ihrem verletzten Bein zu verlagern, bemerkte die Kaiserin sie schließlich.
    „Und wer mag die junge Frau sein?“ Die Kaiserin wies mit gestrecktem Arm hoheitsvoll auf die Besucherin, zog eine Braue hoch und wandte sich an Earl Robert. Beklommen spürte Emmeline die Blicke aller Anwesenden auf sich gerichtet. Sie hob das Kinn und trat einen Schritt vor.
    „Ich bin Emmeline de Lonnieres, Mylady.“ Ihre klare Stimme hallte von den Wänden wider, und sie biss sich vor Schreck auf die Lippen, um nicht allzu keck zu erscheinen. Zu ihrem Erstaunen klatschte die Kaiserin in die Hände, ein Lächeln überzog ihr rundes Gesicht. Aufgeregt wandte sie sich an Earl Robert.
    „Aha! Du hast dich um meine Überfahrt nach England gekümmert, nicht wahr?“
    „Ich habe noch nichts dergleichen getan“, gestand Robert, stellte sich neben den Lehnstuhl der Kaiserin und legte ihr die Hand auf die Schulter. Der Blick seiner wässrigen Augen musterte Emmeline von Kopf bis Fuß, seine Mundwinkel zogen sich verächtlich nach unten angesichts ihrer schmutzigen, lehmbespritzten Kleider. „Ich hörte nur zufällig, dass sie Lord Talvas

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