Zwei Herzen im Winter
nickte zu Guillame hinüber. „Aber gehört das Mädchen auch zu Euch? Sie ist ansehnlich.“
Emmeline errötete verlegen unter der unverhohlenen Musterung. Talvas ließ den Blick bedächtig über ihre Gestalt schweifen. „Nein, Mylord, wir haben uns zufällig auf der Reise nach Torigny getroffen. Madame de Lonnieres bittet um eine Audienz bei der Kaiserin in einer geschäftlichen Angelegenheit.“
Earl Roberts Miene verfinsterte sich. „Das wird schwierig sein“, murmelte er und nahm Talvas beim Arm. „Ich muss mit Euch sprechen … allein.“ Er zog ihn in einen dunklen Winkel des Burghofs, nachdem er den Fackelträger angewiesen hatte, bei Emmeline zu bleiben. Verlegen trat sie im Lichtkreis von einem Fuß auf den anderen. Guillame war bereits verschwunden, um den Stallburschen dabei zu helfen, die Pferde zu versorgen.
Emmeline blickte betreten an sich herunter: Der Saum ihres Umhangs war feucht und mit Lehm bespritzt. Die nassen Kleider hingen schwer an ihrem Körper. In ihrem Eifer, nach Torigny zu reiten, hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, in welchem Gewand sie vor der Kaiserin erscheinen, geschweige denn, wie sie ihr Anliegen vorbringen sollte. Nun nagten Zweifel an ihr. Was in Gottes Namen hatte sie sich dabei gedacht? Sie sah aus wie eine Bettlerin. In diesen schmutzigen Kleidern konnte sie unmöglich einer Königstochter unter die Augen treten! Andererseits war sie in der Lage, ihr etwas anzubieten, was sie dringend benötigte. Wer sollte also Anstoß an ihrer äußeren Erscheinung nehmen?
Ihr Blick suchte die hünenhafte Gestalt von Talvas of Boulogne, der sich gerade mit finsterer Miene und schmalen Lippen aus dem Schatten löste.
„Eine Audienz bei der Kaiserin ist durch widrige Umstände nicht möglich, Madame“, sagte er barsch, ohne eine weitere Erklärung. „Ihr könnt die Nacht bleiben und morgen früh nach Barfleur zurückreiten.“
„Nicht möglich?“, wiederholte sie aufbrausend. „Aber sobald sie erfährt, dass ich ihr mein Schiff anbiete, wird sie mich empfangen.“
„Still, dämpft Eure Stimme!“ Talvas griff warnend nach ihrem Arm, sein funkelnder Blick bohrte sich in ihre Augen.
„Nein, ich denke nicht daran!“ Sie versuchte, seinen Griff abzuschütteln. „Ich bin nicht so weit geritten, um auf diese Weise abgewiesen zu werden!“ Wütend stocherte sie mit dem Zeigefinger nach ihm.
Er nahm ihre Hand und zog sie an seine Brust. „Ihr kommt ungelegen“, wiederholte er.
Sie entriss ihm ihre Hand, wobei ihre zarten Finger seine schwielige Handfläche streiften. Talvas senkte den Blick auf den schlichten Goldreif, der ihren Schleier hielt, unter dem sich widerspenstige Löckchen um ihre glatte Stirn kringelten. Sie ist atemberaubend schön, schoss es ihm unvermutet durch den Sinn. Eine befremdliche Hitze wallte in ihm auf, ein züngelndes Verlangen, von dem er gehofft hatte, es sei für alle Zeit erloschen. Wer war diese junge Frau, die einen solchen Aufruhr in ihm auslöste und längst vergraben geglaubte Gefühle weckte?
„Ich wiederhole, ich bin diesen beschwerlichen Weg nicht geritten, um mich kurz vor dem Ziel abweisen zu lassen! Ich will die Kaiserin sehen!“ Emmelines wütende Stimme riss ihn aus seiner seltsamen Träumerei. „Man könnte meinen, Ihr habt es darauf angelegt, mir diese Begegnung zu vereiteln.“ Ihre grünen Augen funkelten anklagend im unruhigen Fackelschein.
Sie hat recht, dachte Talvas, ich will eine Begegnung mit der Kaiserin vereiteln. Der Earl hatte ihm soeben anvertraut, dass der König verstorben sei und Maud so rasch wie möglich mit dem Leichnam ihres Vaters nach England zurückkehren wolle. Und Talvas kannte den Grund. Sie hatte die Absicht, Anspruch auf den Thron zu erheben. Sein Schwager Stephen würde ebenfalls sein Anrecht aus die Krone gelten machen wollen, und ihm hatte er die Treue geschworen. Talvas würde alles tun, was in seiner Macht stand, um Maud daran zu hindern, den Ärmelkanal zu überqueren.
„Sobald sie erfährt, dass ich ihr mein Schiff zur Verfügung stelle, wird sie mir eine Audienz gewähren, dessen bin ich sicher“, verkündete Emmeline im Brustton der Überzeugung und mit lauter Stimme, im Wissen, dass Earl Robert immer noch lauernd im Schatten stand.
„Gütiger Gott, Weib, Eure Unverfrorenheit stürzt uns noch alle ins Verderben“, knurrte Talvas zähneknirschend, legte seinen Arm um ihre Schultern und steuerte sie unerbittlich zum Haupteingang der Burg.
„Lord Talvas, einen Moment!“
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