Zwei Herzen im Winter
die Teigreste an der Schürze ab, eilte zu Sylvie, setzte sich neben sie auf die Bank und legte die Arme um sie. Erst jetzt wurde Emmeline wirklich klar, was ihre unglückliche Schwester in dieser Ehe zu leiden hatte. „Mein Gott, Sylvie, wie lange geht das schon so?“
Sylvie klammerte sich an Emmelines Arm und flehte: „Du musst mich von hier fortbringen. Bring mich zurück in die Normandie, bevor er zurückkommt.“ Ihr Blick irrte unstet umher, die Stimme drohte ihr zu versagen. „Ich weiß nicht, was er mir noch antut.“
Emmeline nickte heftig. Sie musste keine näheren Einzelheiten darüber wissen, was Edgar mit ihr gemacht hatte – die Spuren waren deutlich zu sehen. Die einst strahlend schöne und stolze Sylvie war eine gebrochene, misshandelte Frau, nah daran, dem Irrsinn zu verfallen. „Lass uns diese Nacht noch hier schlafen, morgen bringe ich dich von hier fort, Sylvie. Ich bitte Lord Talvas um Begleitschutz. Wir reisen morgen ab.“
Um Sylvies verhärmte Mundwinkel bebte ein schwaches Lächeln. „Versprichst du es mir? Bitte versprich mir, dass du mich von diesem Ort des Grauens wegbringst.“
Emmeline zog sie an sich. „Deshalb bin ich zu dir gereist, Sylvie. Ich verspreche es dir.“
Die schwere Eichentür wurde aufgerissen und schlug gegen die Wand. Beide Frauen fuhren erschrocken hoch.
„Ach, was für eine rührende Szene.“ Emmeline spürte, wie Sylvie unter Talvas’ spöttischen Worten zusammenzuckte. „Tut mir leid, eure Wiedersehensfreude zu trüben, aber die Männer sind noch hungrig.“ Emmeline tätschelte die Schulter ihrer Schwester aufmunternd, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte. Talvas kam die Stufen in die warme Küche herunter. „Was heckt ihr denn aus?“ Er hatte Wappenrock und Kettenhemd abgelegt und trug nur die dunkelblaue Tunika.
Emmeline begann den Teig auszurollen, wusste, dass Talvas auf Antwort wartete. Ihr Herz klopfte unter seinem scharfen Blick. „Wir hecken gar nichts aus, Mylord“, sagte sie schließlich. „Wir reden lediglich über unsere morgige Reise.“ Mit einem langen Messer schnitt sie Scheiben von einer Schinkenkeule, zerhackte sie und belegte den Teig damit.
„Welche Reise?“ Talvas umfing ihr Handgelenk mit eisernem Griff. Sie hatte die Ärmel ihres Untergewands hochgekrempelt, ihre hellen Arme waren von einem feinen Netzwerk blauer Äderchen durchzogen. Unter seinem Griff entglitt ihr das Messer und fiel klirrend auf den Tisch. Sie hob das Gesicht, ihre smaragdgrünen Augen funkelten, zogen ihn magisch in ihren Bann. Sein Herz machte einen Satz. Er hätte gern den mehligen Fleck von ihrer rosigen Wange gewischt. Aber gleichzeitig stellte er sich die Frage, die ständig an ihm nagte: Wie war es möglich, dass zwei Schwestern, die sich im Aussehen so sehr glichen, so unterschiedlich im Wesen waren?
Die Berührung seiner Finger löste ein Sehnen in Emmeline aus. Sein unverwandter Blick verwirrte sie, brachte ihren Entschluss ins Wanken. „Ich werde Sylvie morgen nach Hause bringen“, antwortete sie zögernd. „Sie kann und darf hier nicht länger bleiben.“
Er zog die Brauen hoch. Seine Lippen wurden ein schmaler Strich. „Das ist nicht möglich, Emmeline. Stephen hat andere Pläne für dich.“ Sein anmaßender Ton erzürnte sie. „Andere Pläne für uns.“
Emmeline schüttelte den Kopf und straffte die Schultern. „Dann muss er seine Pläne ändern … Findest du nicht, dass es höchste Zeit ist, von hier fortzukommen?“ Gleichzeitig durchströmte sie ein Glücksgefühl bei der Möglichkeit, noch länger mit ihm zusammenzusein.
„Ja, das finde ich auch. Du hast genug durchgemacht. Im Übrigen ist England zurzeit kein passender Ort für eine Frau ohne männlichen Schutz.“
Eine Frau ohne männlichen Schutz! „Ich kann auf mich selbst aufpassen, und auf meine Schwester“, entgegnete sie aufbrausend.
Talvas trat einen Schritt näher. „Nein, Emmeline, in diesem Punkt irrst du. Du bist zwar willensstark und eigensinnig, darin kannst du dich mit jedem Mann messen. Aber du kannst es körperlich mit keinem Mann aufnehmen. Mit dieser hochmütigen Einstellung bringst du dich in Gefahr.“
„Dann sorge dafür, dass ich mich keiner Gefahr aussetzen muss.“ Wie sehr sie es verabscheute, dass Männer ständig versuchten, ihr dreinzureden und ihr Vorschriften zu machen!
„Diesen Wunsch würde ich dir gern erfüllen, Emmeline. Aber ich kann mich nicht dem Befehl des Königs widersetzen.“
„Tust du immer alles, was
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