Zwei Herzen im Winter
Stephen dir vorschreibt?“, entgegnete sie spitz und mit blitzenden Augen.
„Es gibt so etwas wie Treue und Loyalität“, antwortete er gelassen. „Aber davon verstehst du wohl zu wenig.“
„Ich finde es töricht, sich auf andere zu verlassen.“ Sie hatte Mühe, die Ruhe zu bewahren.
„Du solltest es mal versuchen“, murmelte er. „Vielleicht erlebst du eine Überraschung.“ Ihre Blicke hefteten sich ineinander. Reden wir eigentlich noch über die gleiche Sache?, fragte sich Emmeline.
„Ich habe es Sylvie versprochen.“ Ihr Blick wanderte zum verhärmten, tränenverquollenen Gesicht ihrer Schwester. „Talvas, sie ist in Gefahr!“
„Wir alle sind in Gefahr, wenn wir Maud nicht Einhalt gebieten, Emmeline.“
„Wie könnte ich euch nützen? Was ihr braucht, ist eine starke Armee.“
„Wir brauchen dein Geschick. Eine Frau erweckt weniger Verdacht. Mit deiner Hilfe können wir Maud aus Sedroc vertreiben, einer Festung von ihr, wohin sie geritten ist.“ Er gab ihre Hand frei und strich sich fahrig durchs Haar. „Glaube mir, Emmeline, mir gefällt der Plan ebenso wenig wie dir. Aber Stephen hat seinen Entschluss gefasst. Er ist fest davon überzeugt, dass wir zwei mehr Erfolg haben, Maud unschädlich zu machen, als eine ganze Armee.“
„Wir beide?“, fragte sie ungläubig.
Talvas hob die breiten Schultern. „Ja, davon ist Stephen überzeugt.“
Sylvie begann zu jammern. „Verlass mich nicht, Emmeline! Du hast versprochen, mich von hier wegzubringen.“
Emmeline wollte und musste ihr Versprechen halten. Andererseits gab Talvas ihr die verlockende Chance, noch länger zusammen zu sein. „Wir finden eine Lösung, Sylvie. Vielleicht kannst du hier bleiben, bis ich aus Sedroc zurückkomme?“
Sylvie kratzte mit den Fingernägeln in den Fugen der Tischplatte. „Er will sich an mir rächen“, murmelte sie mutlos.
„Nein, Sylvie, das tut er nicht. Er muss dem Befehl des Königs Folge leisten.“ Emmeline warf Talvas einen Seitenblick zu – seit wann verteidigte sie diesen Mann?
„Er nimmt dich mir weg.“
„Nein, Sylvie. Nur für ein paar Tage. Der König wird einen Trupp Soldaten zu deinem Schutz auf der Burg lassen.“ Ein kurzes Nicken von Talvas bestätigte ihre Vermutung.
Sylvie war aufgestanden, wich mit ängstlichen kleinen Schritten zur Tür und wies mit dem Finger auf Talvas.„Wenn du mir je verzeihen kannst, Talvas, lass meine Schwester bei mir. Nimm sie mir nicht weg!“ Ein trockenes Schluchzen entrang sich ihr, bevor sie die Küche verließ, wankend wie ein Gespenst.
„Ich muss zu ihr, Talvas!“ Emmeline hatte einen gallebitteren Geschmack im Mund, fühlte sich wie eine Verräterin. Sie zog die Schürze aus und wandte sich zum Gehen.
„Lass sie!“, knurrte er.
Auf den Stufen drehte Emmeline sich um und fixierte ihn. „Nein, Talvas, das tue ich nicht. Sie ist meine Schwester. Das musst du einsehen.“
„Sie würde keinen Finger für dich rühren“, entgegnete er trocken.
Emmeline schüttelte den Kopf. „Sie hat einen hohen Preis dafür bezahlt, dich verlassen zu haben. Du musst einen Winkel in deinem Herzen finden, um ihr verzeihen zu können.“
Talvas starrte noch lange auf die geschlossene Tür, nachdem Emmeline gegangen war.
14. KAPITEL
Emmeline lag in ihren Kleidern auf der Pelzdecke neben Sylvie und war froh, endlich ihre regelmäßigen Atemzüge zu hören. Der Schlaf glättete die Falten in Sylvies Gesicht; sie sah beinahe wieder aus wie das unbekümmerte junge Mädchen, bevor die Härte des Lebens sie gezeichnet hatte. Nach einigem Suchen hatte Emmeline ihre Schwester in einem Turmgemach gefunden, wo sie sich in ihrer Verzweiflung unter Pelzdecken vergraben hatte. Im Dunkeln hatte Sylvie ihr schließlich Einzelheiten aus ihrer Ehe mit Edgar berichtet, von seinen täglichen Verhöhnungen und Beschimpfungen, den Fußtritten und Faustschlägen, und sie hatte versichert, wie sehr sie es bereute, diesen Schritt getan zu haben. Emmeline, die mehr als jeder andere Mensch nachempfinden konnte, wie furchtbar Sylvie unter den Misshandlungen ihres gewalttätigen Gemahls litt, hatte ihr schweigend zugehört. Sie wollte und musste ihre Schwester beschützen. Ihre erste Sorge musste Sylvie gelten. Talvas würde gewiss jemanden finden, der ihn nach Sedroc begleitete.
Vorsichtig streckte sie die Beine. Das Bett war zu schmal, um zu zweit darin schlafen zu können. Sie drehte sich behutsam zur Seite, um Sylvie nicht zu wecken, setzte ich auf und stellte die
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