Zwei Herzen im Winter
Füße auf den kalten Boden. Danach zog sie Sylvie die Pelzdecke bis zu den Schultern hoch und hauchte einen Kuss auf ihre Wange. Lautlos huschte sie zur Tür und öffnete sie mit einem leisen Klicken. Sie wollte die Wendeltreppe hinaufsteigen, um dort eine Kammer zu finden, wo sie schlafen konnte.
„Endlich!“
Erschrocken drückte Emmeline den Rücken gegen die Türfüllung.
„Talvas … du hast mich erschreckt!“ Sie blickte in sein markantes Gesicht.
„Tut mir leid.“ Er lächelte schuldbewusst. „Ich warte schon seit einer Weile.“ Er stieß sich von der Mauer ab und stand dicht vor ihr im engen Stiegenhaus.
„Warum? Der König und seine Soldaten schlafen gewiss schon.“
„Ja, alle verbringen die Nacht in der Großen Halle, dort ist es am wärmsten. Ein Soldat wacht über das Feuer.“
„Und warum schläfst du noch nicht?“
„Ich wollte mich vergewissern, dass du schläfst … Es ist ein langer Ritt nach Sedroc.“
Emmeline schüttelte den Kopf, ihr blondes Haar schimmerte im Halbdunkel. „Ich kann dich nicht begleiten, Talvas. Ich darf Sylvie nicht allein lassen, nach allem, was sie durchgemacht hat. Ihre Ehe … ist eine Desaster. Sie hat Schreckliches durchgemacht.“
„Das hätte sie sich vorher überlegen müssen, bevor sie mit Edgar durchbrannte“, erwiderte er ohne Gefühlsregung.
„Still! Du darfst sie nicht wecken. Sie ist eben erst eingeschlafen.“
Talvas nahm Emmelines Hand. „Dann komm mit mir.“ Seine Stimme klang dunkel und weich. Er zog sie sanft mit sich, die gewundenen Stufen hinauf, und öffnete eine Tür.
„Oh!“ Emmeline blickte sich erstaunt um. In dem runden Turmgemach verbreitete ein Kohlebecken wohlige Wärme. Dicke Kerzen, die in Eisenhaltern an den Wänden brannten, tauchten den Raum in honigfarbenes Licht. Auf einem großen Bett lagen Pelzdecken, über die weiße Laken gelegt waren.
„Wie schön“, hauchte sie. „Wer hat das vorbereitet?“
„Das war ich.“
Verblüfft ergriff sie seinen Arm in einer Geste der Dankbarkeit.
„Warum?“
Er lachte.„Argwöhnisch wie immer. Wie gesagt, ich wollte nur dafür sorgen, dass du gut schläfst.“
„Bevor ich nach Sedroc reise?“
„Richtig, bevor du nach Sedroc reist.“
Sie setzte sich an den Rand des Bettes. „Warum kann dich nicht ein anderer begleiten? Warum ausgerechnet ich?“
In wenigen Schritten war er bei ihr und setzte sich neben sie. Die Strohmatratze gab raschelnd unter seinem Gewicht nach. „Weil ich dich bei mir haben will und ich dir vertraue.“
Sie schloss die Augen, die Entscheidung fiel ihr unsagbar schwer. „Aber Sylvie …?“
„Sie wird von Soldaten bewacht, bis wir zurückkehren; es wird ihr nichts geschehen.“ Er strich ihr eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht.
Emmeline hielt den Blick auf ihre im Schoß gefalteten Hände gesenkt und versuchte, das Begehren nicht zu beachten, das seine sanfte Berührung in ihr auslöste. Die Botschaft ihres Herzens war klar: Geh mit ihm! Geh mit ihm! Sie hob den Blick und nahm die Einzelheiten im Gemach wahr: den Duft der frischen Streu auf den Eichendielen, den gefüllten Wasserkrug neben der Waschschüssel auf der Truhe unter dem schmalen Fenster. „Bleibt eine Abordnung von Stephens Soldaten bei ihr?“ Ihre Stimme schwankte unsicher.
„Stephen hat mir bereits seine Zusage gegeben.“
„Dann begleite ich dich.“ Langsam stieß sie den Atem aus und warf ein scheues Lächeln in seine Richtung.
„Ich danke dir, Emmeline.“ Er legte die Hand um ihren Nacken. „Du bist völlig anders als sie.“
„Nein, nicht wirklich, Talvas. Vergiss nicht, du hast sie einst geliebt.“
Er zog seine Hand zurück. „Das dachte ich zumindest.“ Seine knappe Antwort erschreckte sie. „Dieses Wiedersehen … nach all den Jahren … wühlte alles wieder in mir auf.“
Sie blickte ihn forschend an. „Erzähle mir davon“, flüsterte sie.
„Wir waren verlobt. Der Tag der Hochzeit war bereits festgelegt. Doch dann begann der Streit zwischen uns. Sie bedrängte mich, den Besitz meines Vaters zu übernehmen, ich aber war entschlossen, meinen eigenen Weg zu gehen und mich als Seefahrer auf Handelsrouten zu bewähren.“
Er suchte ihren Blick. „Wir waren beide störrisch.“
„Sylvie hasste die Armut, in der wir nach dem Tod unseres Vaters leben mussten“, versuchte Emmeline ihre Schwester zu verteidigen. „Sie konnte dieses Leben nicht ertragen.“
„Nahm sie deshalb Arbeit auf der Burg meines Vaters an, um sich einen
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