Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum
Leben gerettet. Auch wenn Raufer diese Einsicht nicht schmeckte, denn daraus erwuchsen möglicherweise Verpflichtungen, die ein freilebender Kater nur ungerne eingehen würde. Noch hatte der Mensch zwar nichts gefordert, aber man wusste ja nie.
Andererseits, was ihm an Kris gefiel, war seine Haltung. Im Gegensatz zu anderen Menschen bewegte er sich geschmeidig wie ein Kater, und sein Gesicht hatte ebenfalls manchmal einen raubtierhaften Ausdruck. Beispielsweise, wenn er Anja angrinste.
Mhm, ob das etwas zu bedeuten hatte?
Es war der Ausdruck einer lauernden Katze. Vielleicht sprang er sie ja mal an. Das wäre lustig zu beobachten. Diese Anja sah aus, als ob sie auch ganz fähig darin war, die Krallen einzusetzen.
Dergleichen hübschen Szenarien widmete Raufer sich, bis Kris spät am Abend zurückkam.
»Na, Raufer? Haben sie dich gut versorgt?«
Es mochte ein Gebot der Höflichkeit sein, die Augen zu öffnen und ganz, ganz leise: »Mau« zu sagen.
Kris lächelte und wies zur Küche.
»Könnte sein, dass da noch ein Stück gekochter Schinken im Kühlschrank ist.«
Könnte sein. Wäre gut. Könnte man annehmen.
Bekam man.
Weshalb Raufer es sich gefallen ließ, dass ihm das Fell im Nacken gezauselt wurde.
Sooo schlecht fühlte sich das nun auch wieder nicht an.
11. Der Streuner-Clan
Kris gab seinen jungen Schützlingen noch ein paar Hinweise auf die anstehenden Wettkämpfe, mahnte sie, sich pünktlich am Samstagmorgen vor dem Studio einzufinden, und entließ sie dann aus dem Übungsraum. Die nächste Gruppe wartete, und mit ihr würde es weit ernsthafter zugehen als mit den Teenies, die wegen der Pokale und den Plätzen auf dem Siegertreppchen antraten. Kris unterrichtete eine Anzahl Polizisten in Kampftechniken. Leicht spöttisch verbeugte sich Kommissar Stefan vor ihm und klopfte ihm dann vertraulich auf die Schulter.
Schon lag er auf dem Rücken, Kris’ Ferse an seiner Kehle.
»Bah, bist du fies«, keuchte der Polizist.
»Sieh zu, dass du genauso fies wirst.«
Und dann setzten sie gemeinsam alles daran, dieses Zielzu erreichen. Nassgeschwitzt und ausgelaugt beendete Kris auch diese Trainingseinheit, und als er aus dem Raum trat, sah er Anja an der Theke stehen und an einem blutroten Getränk nippen.
»Hübsch, der Wuschelkopf«, meinte Stefan und erntete von Kris ein leises, aber vernehmliches Knurren.
»Willst du noch mal auf den Rücken fallen, mein Freund?«
»Hast du ältere Rechte?«
»Gar keine. Aber sie ist eine Tierschützerin und kontrolliert mich, ob ich meinen Kater ordentlich halte. Ich möchte nicht, dass sie einen schlechten Eindruck von mir gewinnt«, erklärte Kris.
»Tut sie ja nicht, wenn ich mit ihr flirte.«
»Tut sie wohl, wenn sie herausfindet, dass du mein Freund bist.«
Stefan lachte und verabschiedete sich.
»Aha, hier ist die Rauferschule«, schnurrte Anja, als Kris auf sie zutrat. »Steht Ihnen gut, dieser schwarze Anzug.«
»Sind Sie meinetwegen hier, oder wollen Sie zu dem Kater?«
»Weder noch – ich wollte zu Ina, aber die hat mich runtergeschickt, weil sie heute keine Zeit hat. Sie meinte, ich solle Ihnen ein bisschen zuschauen, wenn ich starke Nerven hätte.«
»Ach ja, Ina – fast hätte ich es vergessen. Sie sollten sie nicht unangekündigt überfallen, Anja.«
»Nicht? Ich hatte neulich den Eindruck, dass sie sich gerne mit mir über die Streunerkatzen unterhalten und mir den Futterplatz gezeigt hätte.«
Kris schaute auf die Uhr an der Wand.
»Geben Sie mir zehn Minuten zum Duschen, dann können Sie selbst Bekanntschaft mit den Streunern machen.«
»Ach ja?«
»Seien Sie nicht so schnippisch, Mädchen.«
»Seien Sie nicht so arrogant, Junge. Mich beeindruckt der schwarze Gürtel nicht.«
Etwas in Kris’ Miene aber ließ Anja vorsichtig Abstand von ihm nehmen. Dann lachte sie unsicher auf.
»Gut, ich warte hier unten auf Sie.«
»Sie können auch mit hochkommen und Raufer begrüßen. Er ist in den vergangenen Tagen geradezu zutraulich geworden – für seine Verhältnisse.«
Sie gingen die Treppe nach oben, und als sie die Tür öffneten und den Wohnraum betraten, hob der Kater tatsächlich seinen Kopf und sagte leise: »Mau?«
»Ja, ich habe dir Anja mitgebracht, die jetzt fingerfertig dein Fell zauseln wird.«
»Mirrr?«
»Mach ich, Raufer«, erwiderte Anja. »Und der da putzt sich jetzt erst mal.«
Kris war schnell fertig, schlüpfte in einen warmen Pullover und rubbelte sich die Haare trocken.
»Ich gehe jetzt nach unten und
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