Zwei Mädels. Ein Weg. Ein Zelt.
Tiergebiss. Wie gruselig, wir haben neben animalischen Skelett-Überresten genächtigt! Andächtig rätselnd schupsen wir das Ding mit unseren Wanderstäben an und kommen zu dem Schluss, dass es eigentlich nur ein Schafsgebiss sein kann. Ich mag Schafe. Aber nicht so.
Was jetzt beginnt, gleicht einem Jakobsweg-Rekordversuch. Cornelia und ich haben uns für heute eine 30 Kilometer-Etappe vorgenommen. Weil wir wissen, dass wir manchmal einen ganzen Tag für 15 Kilometer benötigen, geben wir heute so richtig Gas. Ausgerechnet eine Bergetappe steht auf dem Programm. Cornelia läuft also vor und ich bleibe brav hinten dran. Wie angestochen schrubben wir innerhalb von sagenhaften zwei Stunden elf Kilometer. Das entspricht dann etwa 5,5 km/h bergauf mit zwölf Kilogramm Gepäck. Respekt! Nach diesem Power-Workout gönnen wir uns ein Brot-Tomate-Käse-Frühstück und spülen mit Cola nach.
Danach geht es nach Foncebadón, einem Ort, der sehr lange praktisch verlassen war und wegen seiner wilden Hunde, Pilger eher abschreckte. Das können wir nun gar nicht behaupten, alle Hunde und Katzen sind absolut streichelbar. Der Ort wird heute mit EU-Geldern allmählich restauriert und neu aufgebaut. Es gibt hier sogar eine freakige Herberge, in der wir uns eine Cola holen und die hippieartige aber verarmte Atmosphäre auf uns wirken lassen. Dieses Dorf übt einerseits eine starke Anziehungskraft auf mich aus, während es mich zugleich abschreckt. Erklären kann ich das nicht, es ist einfach
ein Gefühl. Alles in Allem ist es schön in dieser charakteristischen Gegend zu verweilen. Ewiges Herumsitzen ist heute jedoch nicht drin. Es geht weiter zum Eisenkreuz. Das Cruz de Ferro gilt als Zeichen und Denkmal der Pilgerschaft. Auf 1500 Metern Höhe kann hier jeder Pilger einen Stein aus seinem Heimatland niederlegen oder andere persönliche Dinge am Holzpfahl des Kreuzes anbinden. Das Monument haben wir uns ganz anders vorgestellt. Wir dachten es handele sich um einen größeren Platz mit mindestens einem Souvenir- oder Eisstand und einem großen, massiven Eisenkreuz. Wir sind positiv überrascht, dass der Massentourismus hier keinen Einzug gehalten hat und blicken auf den langen schlanken Mast, auf dem ein zartes Eisenkreuz fußt.
Ich sinne darüber nach, ob es gut ist, mit einem Haufen Erwartungen und Vorstellungen durch’s Leben zu ziehen oder ob es sich nach dem Motto: „Erwarte nichts und du bekommst alles!“ besser leben lässt. Im Falle des Eisenkreuzes war die Realität besser als meine Erwartung, während es beim Whale-Watching in Ecuador vor zwei Jahren ganz anders war.
Ich ging immer ganz fest davon aus, dass es mich zutiefst ergreifen und faszinieren würde, wenn ich neben mir einen wuchtigen Wal auftauchen sähe. Magisch, total packend und mächtig muss das sein, erwartete ich. In dem Moment, als ich den ersten gigantischen Meeressäuger entdeckte, war ich aufgeregt und fand den Anblick durchaus faszinierend, spannend und schön, aber keineswegs so außerordentlich, wie ich es zuvor erwartete. Die Magie war nur halb so intensiv wie gedacht.
Ist es nun besser, früh morgens beim Aufwachen zu denken, heute werde ich zum Essen eingeladen und das beste Mahl meines Lebens zelebrieren? Oder ist es angenehmer schon in der Früh überhaupt nichts vom Tag zu erwarten und total unvoreingenommen das Haus zu verlassen? Im Falle des Eisenkreuzes war es gut, ein Bild im Kopf zu haben, das dann im positiven Sinne widerlegt wurde. Was die Walbeobachtung angeht, bin ich zwar ein wenig enttäuscht worden, aber nicht so sehr, dass es mich nun total fertig gemacht hat. Schließlich habe ich viele Jahre mit meiner schönen Vorstellung und Erwartung gelebt, dass eine Begegnung mit den Tieren maximal magisch und mitreißend sein muss. Der sehr lange Zeitraum mit großen Erwartungen besiegt in diesem Beispiel die minutenlange Erkenntnis, dass Wale für mich nun doch nicht so das Mega-Highlight sind. Ich komme also zu dem Schluss, dass es viel besser zu meinem optimistischen Lebensstil passt, wenn ich schon am Morgen einen tollen Tag erwarte. Sollten diese Vorstellungen mal unerfüllt bleiben, ist das meine Chance den guten Umgang mit Niederlagen oder unerfüllten Wünschen zu üben. Das perfekte Kamerahandling übt, hier am spanischen Eisenkreuz, eine Horde junger, hübscher Radpilger, die ein Foto nach dem anderen von uns machen. Sie quetschen uns über Herkunft, Tätigkeiten und Beziehungsstatus aus.
Fotoshooting und Plauder-Runde
Weitere Kostenlose Bücher