Zwei Mädels. Ein Weg. Ein Zelt.
und werden gefragt, ob es uns auf dem Weg an irgendetwas fehle oder ob wir materielle Alltagsgüter vermissen würden. Wir verneinen einstimmig und werden uns bewusst, dass sich alles Überlebenswichtige auf zehn bis zwölf Kilogramm reduzieren lässt und tagtäglich auf unseren Rücken getragen wird. Das fasziniert mich hier sowieso. Ich kann ja gewiss immer nur ein T-Shirt oder eine Hose oder einmal Unterwäsche anhaben. Okay, wenn der einzige BH abhanden kommt, ist das ärgerlich aber kein Weltuntergang. Mit unserem Gepäck können wir sowohl einen Monat auskommen als auch ein Jahr. Ich finde, dass weniger soviel mehr ist und viel glücklicher und zufriedener macht. In den industrialisierten Staaten wird ständig nach mehr Geld und mehr Eigentum gestrebt. Klar bin ich im Moment eines tollen Einkaufs — und sicherlich noch eine kurze Weile danach — froh und zufrieden über meine Errungenschaft; dabei handelt es sich jedoch nur um ein sehr kurzes Vergnügen. Mit dauerhaftem Glück hat das nichts zu tun, wie die Glücksforschung belegt. Selbstbestimmung und Freiheit aufzugeben für einen Job, der einen knebelt, aber dafür Unmengen an Geld einbringt, finde ich nicht gut. Je mehr man hat, umso mehr meint man doch zu brauchen. Permanentes materielles Streben macht unzufrieden und ist auf Dauer dem Glück nicht förderlich. Wenn man immer nur neuen Besitz anstrebt und ständig weiterdenkt und plant, bleibt dann nicht der Genuss des Augenblicks auf der Strecke? Sollten wir nicht viel öfter morgens aufwachen und uns bewusst ins Gedächtnis rufen, wie toll es ist, gesund zu sein, tolle Freunde und Familienmitglieder zu haben und unter einem intakten Dach aufwachen zu dürfen? Sollten wir uns nicht erst einmal den Milchkaffee vor unserer Nase richtig schmecken lassen, bevor es an die Planung des Abendessens geht? Ich möchte einmal mehr an heute als an morgen denken! Heute, also genau genommen jetzt, habe ich allmählich Hunger. Wo sind denn die Ladies? Kaufen wir jetzt unser obligatorisches Abendessen oder wird es heute doch noch ein zünftiges Dinner? Seltsam, heute wo wir die Drei gezielt suchen, finden wir sie nicht. Man darf auf dem Camino eben niemanden bewusst suchen. Wenn es sein soll, fügt es sich von Allein. Wir verfallen heute jedoch ein Stückchen in unsere deutsche Mentalität und fragen sogar nach den Ladies. Irgendwann erhalten wir Unterstützung eines Franzosen, der die Kanadierinnen findet und ausrichtet, dass wir am Rande der Hauptstraße auf sie warten.
Freudestrahlend finden wir schlussendlich doch noch zueinander und bummeln gemeinsam zur Herberge. Dort gibt es für uns ein Pilgermenü par excellence. Wir laben uns an frischem Salat, soviel vegetarischer Paella wie wir können, Honigmelone, Wein und Wasser. Wir bedanken uns mehrmals für dieses tolle Gratismahl und kullern zum Ortausgang. Von den drei Ladies haben wir uns heute verabschiedet.
Wir vermuten, aufgrund unterschiedlicher Laufrhythmen und Etappenplanungen, dass wir ihnen nicht mehr begegnen. Ein bisschen wehmütig, aber immerhin sehr gesättigt, liegen wir gegen 21:00 Uhr
im Zelt. Für Conny wird es eine schreckliche Nacht. Nachdem wir vor dem Schlafengehen noch drei große Hunde sehen und zu einer völlig absurden Uhrzeit die Kirchenglocken mehrmalig schlagen hören und Mopedfahrer den Weg nahe unseres Verstecks unsicher machen, hat Conny ein wenig Furcht und quält sich durch die Nacht, wie ich erst am folgenden Morgen erfahre. Ein Hoch auf meine Ohropax!
Pilgertag 16.
ETAPPENZIEL: (EIGENTLICH) SANTIBÁÑEZ DE VALDEIGLESIAS
Heute lautet das Etappenendziel Santibáñez de Valdeiglesias. Erst einmal müssen wir aber bis zu unserem Frühstücksort acht Kilometer Regenpassage überstehen. Belohnt werden wir in einer ungemütlichen Bar bei einem dünnen Kaffee. In der Anfangszeit haben wir nicht einmal regelmäßig Kaffee gekauft, tadele ich mich still und versuche das Getränk zu genießen. Mit diesem Gedanken kann ich mich anfreunden. Nur mit der Toilette hier will mir das nicht gelingen. Im Fußboden ist nämlich einfach nur ein Loch eingelassen.
Pfui, hier kann ich nicht! Wir laufen los und entscheiden uns für die Wildnis! Es geht weiter über das wunderschöne Städtchen Hospital de Órbigo und im Etappenendziel Santibáñez de Valdeiglesias geraten wir mittelschwer aneinander. Grund ist die unerwartet fehlende Einkaufsmöglichkeit. Wir haben noch einen Apfel sowie einen Liter Wasser. Es ist jetzt Spätnachmittag und morgen
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