Zwei Maenner fuer Miss Darcy
endlose Meer, das unaufhörlich seine hohen Wellen an Taras gigantischen, zerklüfteten Felsen zerschellen lässt, die sie allerdings gleich wieder ins Meer zurückschlagen wie ein rhythmisches Spiel mit nassen Tennisbällen. Die Zuschauermenge wird gebildet aus einer Schar laut krakeelender Seemöwen, die über dem Ganzen gleiten und auf einen verirrten Ball warten (oder eher einen Fisch …), der aus den Wellen nach oben geschleudert wird.
Ich drehe mich um und betrachte ein weiteres Mal die Insel hinter mir. Wir haben sie an diesem Morgen so weit erkundet, dass selbst ich erkenne, dass sie zwar auf den ersten Blick recht einsam und verlassen aussieht, auf den zweiten jedoch auch außergewöhnlich schön ist. Aber hier ein ganzes Jahr zu leben … das ist schon wieder eine andere Sache. Nach allem, was mir von Niall erklärt worden ist, hat Molly ein großzügiges Budget bereitgestellt, um die Insel mit vernünftigen Behausungen und einer Grundversorgung auszustatten. Ich muss also nicht in einem Zelt kampieren und auf einem offenen Feuer kochen, während ich hier bin; und selbst wenn ich kein ganzes Jahr auf der Insel durchhalten sollte, bin ich nicht dazu verpflichtet, auch nur einen Cent dieses Startkapitals wieder zurückzuzahlen. Aber ich bin doch schon sehr daran gewöhnt, in der Stadt zu wohnen, wo es Menschen, Mobiltelefone und Internet gibt. In London hat man alles direkt vor der Haustür, wenn man etwas haben möchte. Was tue ich hier, wenn mir der Sinn nach einer Maniküre steht oder ich einen Krispy-Kreme-Doughnut essen will?
Ich schüttele den Kopf. Nein, das ist jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt. Im Augenblick gibt es wichtigere Dinge, um die ich mich kümmern muss. Ich drehe mich wieder zum Meer um, lasse den Rucksack von meinen Schultern gleiten und öffne vorsichtig das Hauptfach. Sanft hole ich die kleine hölzerne Urne hervor, die ich mit mir herumtrage, seitdem wir das Festland verlassen haben.
Als Niall sagte, er habe die Asche meiner Tante in seinem Büro, hatte ich mir eine riesig große schwarze Urne auf seinem Schreibtisch vorgestellt, wie man es aus Kinofilmen kennt. Aber als er sie mir heute überreichte, war es nur ein schlichtes Holzkästchen. Offenbar entsprach dies dem Wunsch meiner Tante; sie hatte sich etwas gewünscht, das biologisch abbaubar war und sich wieder in den Kreislauf der Natur einreihte. Sogar das Holz, aus dem das Kästchen gemacht wurde, sollte aus einer nachhaltigen Forstwirtschaft stammen.
»Du hast genau gewusst, was du willst, Tante Molly«, sage ich laut, doch kaum sind mir die Worte über die Lippen gekommen, werden sie schon vom Wind davongerissen und aufs Meer hinausgetragen. »Und nicht nur, was diese Sache hier angeht.«
»Das hat sie«, antwortet plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich erschrecke mich derart, dass ich beinahe meinen Worten die Felsklippen hinunter ins Meer folge.
»Oh, oh, Vorsicht!«, fährt die Stimme fort. Ich spüre eine starke Hand auf meinem Arm, die mich vom Rand der Klippen wegzieht.
Als ich herumwirbele, erblicke ich ein Paar kornblumenblaue Augen, die tief in einem wettergegerbten Gesicht sitzen und mir unbeirrt in die weit aufgerissenen Augen starren.
»Danke.« Ich befreie mich aus seinem Griff und trete einen Schritt zurück, um mir den Mann anzuschauen. »Sie kannten also meine Tante?«
Auch der Mann macht einen Schritt zurück. Jetzt erst sehe ich, dass er ausgeblichene, farbneutrale Kleidung trägt, die sich harmonisch in die Farben der Insel einfügt. Damit bildet er das komplette Gegenteil zu meinem Versuch, einen schicken »Insellook« zu kreieren – bestehend aus einer hautengen Jeans von True Religion, einem weißen DKNY-Kapuzenpulli, der silbernen Nike-Steppjacke und meinen mittlerweile schlammverkrusteten UGG-Boots.
»Ja, ich kannte sie. Sie war eine feine Lady, ja, das war sie. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war, bis ich kürzlich ihren Brief bekommen habe.«
»Ihren Brief?« Diese Antwort interessiert mich. »Welchen Brief?«
Der Mann kramt in der Innentasche seiner Tweedjacke und holt zwei verknitterte Papierblätter hervor. »Ein Mr Niall Kearney hat ihn mir zugeschickt.« Er späht oben auf die erste Seite. »Ich hab meine Brille nicht dabei«, erklärt er entschuldigend. »Hier steht, dass Molly ihn angewiesen hat, mir den Brief zu schicken, wenn sie irgendwann einmal das Zeitliche segnet.« Er hält inne und bekreuzigt sich. »Leider habe ich ihn erst letzte Woche mit meiner Post und den
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