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Zwei Schritte hinter mir

Zwei Schritte hinter mir

Titel: Zwei Schritte hinter mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norah McClintock
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ein eisiges Vanille-Milchshake oder frisches, warmes Brot aus Alice’ Bäckerei in der Dundas Street. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.

6
    Eine Landmarke nach der anderen suchte ich mir und lief weiter. Meine Beine taten weh. Mein Kopf tat weh. Am liebsten hätte ich mich unter einem Baum zusammengerollt und geschlafen. Aber wenn ich nicht weiterlief, würde ich mein Ziel nie erreichen. Schlimmer noch, mein Entführer würde mich finden und wieder zu dieser Hütte zurückbringen. Ich zwang mich, weiterzulaufen, bis die Sonne unterzugehen begann. Schließlich stolperte ich auf eine Lichtung. Meine Beine waren schwer wie Blei, mir war vom Wassermangel und Hunger schwindelig und der Himmel hatte seine Färbung von Tagblau zu abendlichem Gelb und Orange gewechselt. Wenn die Sonne untergegangen war, würde ich mich nicht mehr orientieren können. Ich musste mich auf die Nacht einstellen.
    Jetzt, wo ich anhalten musste, wollte ich auf einmal weitergehen. Was war, wenn der Mann, der mich unter Drogen gesetzt und zu dieser Hütte gebracht hatte, ein Jäger war? Vielleicht wusste er, wie man Tiere aufspürte?
Und wenn man Tiere aufspüren kann, kann man auch Menschen aufspüren, oder? Vielleicht kannte er diese Wälder in- und auswendig? Würde er mich vielleicht sogar im Dunkeln finden? Was war, wenn er sich an mich heranschlich, während ich schlief? Was wenn …?
    Aufhören, Steph! Sofort aufhören!
    Wenn man sich im Wald verläuft, ist der schlimmste Feind die Panik, hatte Grandpa gesagt. Panik lässt dich an alles denken, was passieren könnte. Ein Grizzly könnte dich angreifen. Du könntest erfrieren. Du könntest verdursten. Du könntest nie wieder zurückfinden. Du könntest hier draußen sterben. Gedanken wie diese versetzen Menschen in Panik und in Panik tun sie Dinge, die sie nicht tun sollten. Sie gehen weiter, wenn sie anhalten sollten. Sie laufen im Dunkeln, anstatt auf Licht und Sonne zu warten. Sie reden sich ein, dass sie, selbst wenn sie nicht sehen, wohin sie gehen, dennoch irgendwo hinkommen. Aber am Ende laufen sie dann doch nur im Kreis oder treten in ein Loch und brechen sich den Fuß oder fallen über einen Stein oder einen Baumstamm und brechen sich noch irgendetwas anderes. Sie lassen jeglichen gesunden Menschenverstand außer Acht – vorausgesetzt, sie hatten je welchen. Großvater sagte, das mangelnde Wissen über das Outdoorleben bei den meisten Menschen erschrecke ihn immer wieder. Sie würden sich nie hinter
ein Lenkrad setzen, ohne die Straßenverkehrsregeln zu lernen, meinte er. Aber in den Wald zögen sie los, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, wie man sich dort orientierte und was man anfassen könnte und was lieber nicht. Er sorgte dafür, dass ich so etwas wusste. Und er brachte mir auch bei, wie man aufsteigende Panik bekämpft.
    Erstens: Man muss positiv denken und sich vor Augen halten, was man bereits erreicht hat . Auf der Habenseite stand bei mir, dass ich aus der Hütte entkommen war. Ich hatte in der Ferne eine Hilfsquelle ausfindig gemacht und war den ganzen Tag darauf zugegangen. Ich hatte Wasser gefunden – nicht viel, aber etwas. Ich lebte noch, anders als das erste Mädchen, das entführt worden war. Das alles war positiv. Andererseits war ich hungriger als je zuvor in meinem Leben und brauchte Wasser. Und ich hatte Angst. Aber zumindest hatte ich etwas erreicht.
    Zweitens: Stell möglichst genau deinen Standort fest . Na gut, ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Aber ich wusste, wo ich hin musste, und die Sonne stand noch hoch genug, um mir zu zeigen, wie ich mich hielt. Ich suchte nach einem neuen Stock und steckte ihn in den Boden. Dann nahm ich meine Uhr, überprüfte noch einmal meine Richtung und stellte fest, dass ich mich den ganzen Tag lang in mehr oder weniger westlicher Richtung bewegt hatte. Auch das war gut. Es war sogar
sehr gut. Aus ein paar Zweigen bastelte ich einen weiteren Pfeil, der mir am nächsten Morgen die Richtung weisen sollte.
    Drittens: Sieh dir deine Umgebung genau an, vielleicht findest du etwas, was dir hilft. Ich sah mich um. Die Wiese, auf der ich stand, befand sich auf einer runden Waldlichtung. Vielleicht war es eine natürliche Wiese. Vielleicht war es aber auch eine von Menschen angelegte Rodung. Vielleicht hatte hier ja einmal jemand gewohnt. Grandpa hatte mir erzählt, dass er im Laufe der Jahre auf viele Orte gestoßen war, wo Menschen einmal versucht hatten, sich anzusiedeln. Manche hatten versucht, das Land zu bestellen.

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