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Zwei Schritte hinter mir

Zwei Schritte hinter mir

Titel: Zwei Schritte hinter mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norah McClintock
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Die Hände verschränkte ich im Nacken, um mich zu schützen. Ich sagte mir, dass ich nur eine Chance hatte, wenn ich mich tot stellte. Ich kniff die Augen zu, spannte alle Muskeln an, in der Erwartung, dass sich der Bär auf mich stürzte, und versuchte, nicht an seine scharfen Zähne und die noch schärferen Klauen zu denken.

12
    Peng!
    Peng! Peng!
    Drei Explosionen wie Gewehrschüsse.
    Ein Krachen.
    Stille.
    Ich atmete noch. Es war kein Bär über mir.
    Ich öffnete die Augen und hob den Kopf.
    Ein paar Meter weiter stand ein Mann. Er war groß und schlank, hatte einen zerzausten Bart und noch zerzaustere Haare. Er trug verblichene alte Jeans, zerschrammte Stiefel und ein rotschwarzes Flanellhemd unter so etwas wie einer Armeejacke. Im Arm hatte er ein Gewehr. Ich drehte mich um, sah den Bären hinter mir am Boden liegen und begann am ganzen Körper zu zittern. Vor dem Bären hatte ich Angst gehabt, aber vor dem Mann hatte ich fast noch mehr Angst. Wo war er hergekommen? War er mir gefolgt?
    War er der Mann, der mich entführt hatte?
    Er ging direkt auf den Bären zu, das Gewehr immer
noch auf ihn gerichtet, und stieß ihn mit dem Fuß an. Als er sich nicht bewegte, trat er etwas näher. Eine Weile starrte er den Bären an, dann senkte er schließlich das Gewehr und wandte sich zu mir um.
    »Steh auf«, befahl er barsch.
    Er fragte mich nicht nach meinem Namen. Er fragte nicht, was ich hier tat. Es war, als wüsste er das schon. Mir wurde ganz schlecht, diesmal nicht vor Panik, sondern vor Entsetzen. Er war es. Es war der Mann, der mich betäubt und in die Wildnis verschleppt hatte. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich war vor Angst ganz starr.
    »Du hast doch gehört«, sagte er. »Steh auf.« Er kam auf mich zu.
    Das war es. Das Ende. Er hatte mich gefunden.
    »Bitte!«, flehte ich. Ich wollte gerne tapfer sein, aber ich konnte nur daran denken, dass er mir das antun wollte, was er mit dem ersten Mädchen gemacht hatte, mit der, die man tot aufgefunden hatte. »Bitte töten Sie mich nicht, bitte!«
    Der Mann blieb stehen und sah erst mich an und dann sein Gewehr.
    »Dich töten?«, fragte er. »Warum um alles in der Welt sollte ich dich töten?« Er klang ehrlich überrascht.
    Ich konnte nicht aufhören zu schluchzen.
    Meine Tränen schienen ihn zu verwirren. Er kam
langsam auf mich zu, als sei ich ein Rehkitz und er hätte Angst, mich zu erschrecken. Dann streckte er die Hand aus.
    »Komm«, forderte er mich auf. Seine Stimme war jetzt nicht mehr barsch, sondern sanft. »Steh auf. Ich werde dir nichts tun – obwohl du meiner Meinung nach mehr Vernunft haben solltest, als dich hier draußen herumzutreiben.«
    Ich hätte mich nicht bewegen können, wenn ich es gewollt hätte, aber ich wollte es auch gar nicht. Er tat so, als würde er sich um mich sorgen. Das war doch nur ein grausamer Trick. Wahrscheinlich war er verrückt. Man musste doch verrückt sein, wenn man ein Serienmörder war.
    Seine Hand fasste mein Handgelenk. Sie war rau und schwielig.
    »Bitte«, flehte ich.
    »Um Himmels willen, ich tu dir schon nichts«, erklärte er, nun wieder barsch. Er stellte das Gewehr ab und zog mich hoch. Ich zuckte zusammen und stöhnte, als ich zu viel Gewicht auf meinen schlimmen Fuß verlagerte.
    »Was ist los?«, fragte er.
    Ich konnte nicht antworten.
    Er betrachtete meinen Fuß und befahl mir, mich auf ihn zu stützen. Aber ich wollte ihn nicht berühren. Er forderte mich erneut auf. Als ich immer noch nicht
gehorchte, hob er mich hoch, trug mich zu einem Felsen und setzte mich dort ab. Er zog mein Hosenbein hoch und zog mir den Turnschuh aus. Der Schmerz überlief mich in Wellen. Er ließ seine rauen Hände über meinen Knöchel gleiten. Ich schrie auf.
    »Schon gut«, sagte er, »ich will nur nachsehen. Es ist nichts gebrochen, aber es sieht aus, als hättest du ihn dir heftig verdreht.« Er betrachtete mich, meine schmutzigen Sachen, mein verdrecktes Gesicht und meine verfilzten Haare. »Wie lange bist du schon hier draußen?«
    Ich starrte ihn an.
    Er wiederholte seine Frage.
    Statt ihm zu antworten, fragte ich: »Was werden Sie mit mir machen?«
    »Mit dir machen? Ich sehe zu, dass du dahin zurückkommst, wo du hingehörst, das werde ich machen.«
    »Sie wollen mich nicht umbringen?«
    »Nein«, erklärte er. »Ich will dich nicht umbringen.« Etwas an der Art, wie er mir direkt in die Augen sah, ließ mich ihm glauben. Er war es nicht. Als er mich noch einmal fragte, wie lange ich im Wald gewesen sei, sagte

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