Zwei Seiten
… unattraktiv und abstoßend, dasse mich nich‘ ma‘ anfassen würdest, wenn isch die letzte Frau auf‘a Welt wäre?«
Julia hob eine Augenbraue. »Ich habe nie gesagt, du bist unattraktiv oder abstoßend. Aber du wirst mir sicher zustimmen, ich habe deine charmante Seite bisher nicht kennengelernt. Außerdem würde ich niemals weder dich noch eine andere Frau gegen ihren Willen anfassen.«
Ich schloss die Augen für einen Moment. Als ich sie wieder öffnete, war Julia nach wie vor da. Kein Wunder. Wo sollte sie in den dünnen Sachen auch hin? »Du kannst auf‘a Couch im Wohnzimmer schlafen. In den Klamotten, die du anhast, kannste nich‘ nach Hause gehn. Ist zu kalt draußen. Daniel oder Oliver können dir ja morgen früh was zum Anziehen bringen.«
»Verstehe ich dich richtig?« Julia kam einen Schritt auf mich zu. »Du willst tatsächlich riskieren, mit einer Lesbe in einer Wohnung zu schlafen? Ganz allein?«
Ihre Worte sollten wohl witzig sein, aber auf einmal hörte sich mein Vorschlag gar nicht mehr gut an. Andererseits konnte ich es jetzt auch nicht mehr zurücknehmen. »Ja. Ich vertrau dir. Die Couch is‘ ‘ne Bettcouch. Wenne se vorne hochklappst, findeste Bettzeug drinnen.« Bevor sie noch irgendetwas sagen konnte, um mich weiter zu verunsichern, sagte ich: »Gut‘ Nacht, Julia.«
»Gute Nacht, Scarlett.«
Als mein ungeplanter Gast für die Nacht das Zimmer verlassen hatte, wankte ich zur Tür und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Zweimal. Nur um sicherzugehen.
Kapitel 4
Am nächsten Morgen tapste ich stöhnend in die Küche. Mein Schädel hämmerte und mein Magen krampfte. Nie wieder Alkohol!
»Guten Morgen.«
Ich zuckte zusammen. Verdammt, wie hatte ich bloß vergessen können, dass Julia hier war? »Morgen.«
Julia ging an mir vorbei und nahm am Frühstückstisch Platz. Der war schon gedeckt und eine Kanne Tee, dem Geruch nach zu urteilen Kamille, stand auf einem Stövchen in der Mitte des Tisches.
»Ich hab Frühstück gemacht«, sagte Julia. »Ich hoffe, das ist okay?«
»Sicher. Kein Problem.« Ich schleppte mich zum kleinen Medizinschrank in der Ecke. Irgendwo mussten doch ein paar Schmerztabletten sein. Nach endlosem Herumgewühle fand ich endlich zwei Paracetamol. Ich nahm mir ein Glas und füllte es mit Leitungswasser. Dann spülte ich die Tabletten die Kehle hinunter.
Als ich mich wieder zu Julia drehte, sah ich, wie sie ihre Oberschenkel betrachtete.
Fühlte sie sich mit mir etwa genauso unwohl, wie ich mich mit ihr? Die Stille war unerträglich. Ich musste was sagen. Irgendwas. Und vielleicht war eine Entschuldigung gar nicht so unangebracht. Langsam wanderte ich zum Frühstückstisch und sank gegenüber von Julia auf einen Stuhl. »Hör mal, wegen gestern Abend …«
Julia hob abwehrend die Hand. »Lass uns die ganze Sache einfach vergessen. Von mir erfährt keiner was.«
Meinte sie das ernst? Nie im Leben wäre ich nach gestern so ruhig geblieben, wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre. Insbesondere nicht, nachdem ich letzte Nacht mit Händen und Füßen gegen sie gekämpft hatte, als sie versuchte, mich ins Bett zu bringen. Okay, das klang jetzt irgendwie merkwürdig: ins Bett bringen. Verdammt, warum konnte ich nicht akzeptieren, dass sie mir hatte helfen wollen und mich in keinster Weise bedrängte? »Vielleicht sollten wir ganz von vorne anfangen.« Ich streckte die Hand aus. »Hallo, ich bin Scarlett.«
Julia starrte auf meine Hand. Das Ticken der Wanduhr schien auf einmal so laut wie Hammerschläge.
»Ich bin Julia.«
Als sie mir die Hand gab, merkte ich erst, wie kalt meine eigene war.
»So, Scarlett, erzähl mal, was du studierst.«
»Jura.«
»Gott, das stelle ich mir furchtbar langweilig vor.«
»Manchmal ist es das, aber die meiste Zeit mag ich es sehr.« Ich hielt mir den krampfenden Magen, bevor ich einen Toast aus dem Brotkorb nahm und begann, daran zu mümmeln.
»Und wie bist du dazu gekommen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Schätze, das war durch meinen Geschichts-LK. In der zwölften Klasse ging‘s um die Weimarer Verfassung. Ich fand‘s total interessant.« Ich goss Kamillentee in den großen »Ich bin der Boss« Becher, den Julia beim Decken des Tisches für mich hingestellt hatte. Wie hatte sie bloß wissen können, dass das meine Tasse war? »Ohne Gesetze herrscht Anarchie. Das fasziniert mich halt.« Ich nahm einen kleinen Schluck Tee. »Und außerdem mag ich es, wie ich mit dem Wissen um Gesetze mein eigenes und das Leben
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