Zwei Seiten
zu laut gesprochen, denn die Unterhaltung am Nachbartisch stoppte und neugierige Blicke wurden mir zugeworfen. Gott, konnte diese Sache noch peinlicher werden?
»Das glaube ich dir, Süße.« Oliver schmunzelte seiner Schwester hinterher. »Aber ich schätze, Julia hält dich für bi. Sonst würde sie sich nicht so um die Antwort drücken.«
Ich biss die Zähne zusammen. Sollte das etwa witzig sein?
Oliver wackelte mit den Augenbrauen wie ein Idiot.
Was sollte dieser ganze Mist? Ich war nicht bi. Und lesbisch schon mal gar nicht. Warum hatte Julia nicht gesagt, dass ich offensichtlich nicht krank war? Wie viel heterosexueller konnte ich sein? Ich war mit einem Mann zusammen, nachdem ich eine eineinhalb-jährige Beziehung mit einem Mann hinter mir hatte. Ich schlief mit Männern, verdammt. Nein, heterosexueller konnte man nicht sein.
Olivers Mundwinkel fielen nach unten, als sich unsere Blicke trafen. »Ich mach doch nur Witze.«
»Ich kann darüber nicht lachen.«
»Und wenn du bi wärst … das wäre mir ganz egal.« Er grinste. »Es sei denn, du würdest meine Schwester anschmachten.«
Genug. Ich hatte genug. So ein Idiot. Ich stand auf, kramte einen Fünf-Euro-Schein aus der Tasche, schmiss ihn auf den Tisch und nahm meine Jacke.
»Was machst du?«
»Ich höre mir diesen Mist nicht länger an. Ich bin hetero. Nicht bi oder sonst irgendwas. Mir reicht es mit diesem ganzen kranken Zeug. Mach du deine Witze …«
Julia kam in diesem Moment zurück.
Ich wirbelte zu ihr herum. »Und du, glaub, was du willst.« Mein Blick schnappte zurück zu Oliver. »Ich melde mich.« Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte ich aus dem Café.
* * *
An diesem Samstag verbrachte ich mehrere Stunden im Stadtpark. Ich dachte viel an meinen Vater und meine Kindheit, aber auch an die letzten Jahre und an das Hier und Jetzt. War ich der Mensch, der ich sein wollte? War ich … glücklich? Keine Ahnung, wie ich auf all das kam. Sonst fragte ich mich so was nie.
Da Nathalie übers Wochenende bei Daniel blieb, hatte ich die Wohnung für mich allein und verbrachte den restlichen Tag mit lautem Musikhören. Meistens Gloria Gaynors »I will survive« oder »I am what I am« in ohrenbetäubender Lautstärke. Ich sang aus ganzer Kehle mit, bis ich heiser war. Mir war einfach danach.
Am Sonntag vergrub ich mich in Gesetzesbüchern. Die Ablenkung tat mir gut. Wovon ich mich ablenkte, wusste ich zwar nicht, aber es tat trotzdem gut.
Als ich am Montagmorgen, zum ersten Mal seit Freitag, wieder auf mein Handy sah, stellte ich fest, dass Oliver mehrfach versucht hatte, mich anzurufen. Ich fühlte mich auf einmal schuldig. Während des ganzen Wochenendes hatte ich nicht ein einziges Mal an ihn gedacht.
Nathalie und ich gingen, wie üblich, in der Mittagspause zur Mensa und da waren sie: Oliver und Julia. Sie saßen beieinander und aßen schweigend.
Wir blieben vor Julia und Oliver stehen und sahen einander an, ohne etwas zu sagen.
Doch auf Nathalie war Verlass. Sie gab Julia und Oliver einen Kuss auf die Wange, setzte sich zwischen die beiden und begann, von ihrem Wochenende mit Daniel zu erzählen.
Ich gab Julia und Oliver ebenfalls einen Kuss auf die Wange, setzte mich hin und schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich spürte mehrfach Blicke auf mir, doch ich mied es, aufzusehen. Stattdessen konzentrierte ich mich auf mein Essen. Irgendwann konnte ich die Situation nicht mehr aushalten. »Wir müssen eine Karnevalsparty organisieren.« Hatte ich das gerade gesagt? Ich hatte nicht mal daran gedacht.
Nathalie, die ich mitten im Satz unterbrochen hatte, hob eine Augenbraue. »Das erzähle ich doch jetzt schon seit fast zehn Minuten. Hast du wieder geträumt?«
Oh. »Sieht so aus.«
Oliver blickte mich merkwürdig an, und ich hatte das Gefühl, irgendwas tun zu müssen. Er wusste wahrscheinlich nicht, wo wir standen.
Ich wusste es ja selbst nicht. So konnte es jedenfalls nicht bleiben. Also ergriff ich Olivers Hand und lächelte ihn an.
Julia gestikulierte mit ihrer Gabel. »Unsere Wohnungen sind zu klein. Ich denke, wir sollten Daniel fragen.«
Nathalie nickte. »Schon eine Idee für eure Kostüme?«
»Ich gehe, wie letztes Jahr, als Anakin Skywalker.«
Irgendwie passte das zu Oliver.
Nathalie wandte sich Julia zu. »Und du?«
»Bitte, Schwesterherz, mach es endlich dieses Jahr.«
Ich schaute zwischen beiden hin und her. »Was soll sie machen?« Wurde Julia rot?
»Vor einigen Jahren hat Julia eine Wette gegen mich
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