Zwei Seiten
nicht wirklich, dass sie die Richtigen waren. Auch bei Oliver konnte ich es mir nicht vorstellen. »Ich denke, ich verstehe.«
* * *
Es war unglaublich, wie schnell die Woche verging. Nathalie und Daniel verbrachten die meiste Zeit oben in ihrem Zimmer und Oliver und ich gingen sehr viel spazieren.
Nicht selten stand ich auch allein am Strand und schaute aufs Meer hinaus. Wenn ich die Wellen betrachtete und der Wind mir ins Gesicht blies, fühlte ich mich im Einklang mit mir selbst. Normalerweise waren da immer Unsicherheiten. Mein ganzes Leben fühlte sich irgendwie falsch an. So als würde man mit dem Auto irgendwo hinfahren, und obwohl die Karte einem sagte, dass man auf dem richtigen Weg war, fühlte es sich vollkommen falsch an. Doch hier und jetzt gab es nur mich und das Meer. Keine Erwartungen, die ich zu erfüllen hatte, und keine Entscheidungen, die ich treffen musste. Ich war einfach … Scarlett.
Als wir wieder nach Hause fuhren, schaute ich aus dem Fenster und sah, wie das Meer aus meinem Blickfeld verschwand. Ich nahm mir vor, zukünftig öfter ans Meer zu fahren.
Kapitel 9
Oliver öffnete mir lächelnd die Tür.
Ich gab ihm einen Kuss zur Begrüßung. Aus dem Augenwinkel sah ich Julia aus dem Wohnzimmer kommen. Daraufhin löste ich mich von Oliver und eilte auf sie zu. »Ach, ist das schön, dich zu sehen.«
Julia starrte mich an.
Ich verzichtete auf das obligatorische Küsschen auf die Wange und umarmte sie. Als ich sie losließ, bemerkte ich, dass Julia dunkle Ringe unter den Augen hatte und etwas blass war. »Alles in Ordnung mit dir?«
Julia nickte, während sie mich ausdruckslos ansah.
»Oliver, ich geh mal eben mit Julia in ihr Zimmer.«
»Frauengespräche«, murmelte er grinsend und verschwand ohne ein weiteres Wort in seinem Zimmer.
Als ich mich umdrehte, schaute mich Julia mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Und was genau willst du mit mir in meinem Zimmer?«
Vor ein paar Wochen wäre ich bei dieser Frage aus dem Mund einer Lesbe sicher ausgerastet. Aber ich kannte Julia mittlerweile gut genug, um mich nicht bedroht zu fühlen. Ich hakte mich bei ihr ein und zog sie in ihren Raum. »Reden.«
Julia setzte sich aufs Bett, während ich mich nach einem Stuhl umsah. Bisher war mir nie aufgefallen, dass ihr Zimmer zu klein für einen Schreibtisch oder Sitzgelegenheiten war.
»Du kannst dich auch aufs Bett setzen, wenn du willst.«
Ich nickte und setzte mich so weit wie möglich von ihr entfernt auf die Bettkante. Julia oder nicht, ich saß hier schließlich auf dem Bett einer Lesbe.
»Dann erzähl mal, worüber du reden möchtest«, sagte Julia.
Ich studierte eine Weile schweigend ihr Gesicht. »Du siehst schlecht aus.«
»Danke.«
Ich rollte mit den Augen. »Du weißt, wie ich das meine. Willst du drüber sprechen?«
Julia blickte zu Boden. »Ich habe in den letzten Nächten nicht besonders gut geschlafen.«
»Liegt es an der Arbeit? Ist irgendwas passiert?«
Julia zuckte mit den Schultern.
Ich überraschte mich selbst, indem ich näher rückte und den Arm um ihre Schultern legte.
Julia schaute kurz auf und senkte dann wieder den Kopf.
»Manchmal hilft es, wenn man über seine Sorgen spricht.«
Als Julia mich umarmte und zu weinen begann, zuckte ich zusammen. Einen Moment lang war ich wie erstarrt, doch dann hielt ich sie und rieb ihr über den Rücken. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte, also schwieg ich. Warum hatte Oliver nicht mit ihr geredet? Mein Gefühl sagte mir, er hatte das nicht getan. Oder irrte ich mich da? Er musste gesehen haben, wie schlecht es ihr ging. Ich würde ihn bei nächster Gelegenheit fragen.
Wir hielten einander mehrere Minuten in den Armen, bis Julias Weinen irgendwann nachließ und sie sich von mir löste.
Meine Hand umschloss ihre Wange und ich strich einige letzte Tränen mit dem Daumen weg.
»Danke.« Mehr sagte sie nicht.
Ich ließ ihr Gesicht los und schaute Julia tief in die Augen. »Du kannst mit mir drüber reden, weißt du?«
Sie schüttelte langsam den Kopf und wischte sich weitere Tränen ab.
Ich holte mein Handy aus der Hosentasche, drückte ein paar Tasten und reichte es ihr. »Hier. Meine Nummer. Kannst sie in dein Handy eingeben und wenn du reden willst, rufst du mich an.«
Julia sah mich einen langen Moment an, bevor sie nickte und ihr eigenes Handy rausholte. »Wie war‘s auf Sylt?«
Ich musste lächeln. »Traumhaft. Es ist wirklich wundervoll da.«
Schweigen.
»Wann hast du das erste Mal frei?«
Julia
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