Zwei Seiten
Warum konnte ich manchmal nicht mehr wie Nathalie sein?
Die war scheinbar noch nicht fertig mit ihrem Ausbruch. »Er ist dein Bruder, verdammt. Wie kann er dir bloß so was sagen?«
In Julias Augen zeichneten sich neue Tränen ab.
Ich streichelte Julia den Rücken und sie lehnte sich an mich. Daraufhin legte ich den Arm um ihre Taille, und Julia ließ ihre Wange auf meinem Kopf ruhen.
Nathalie beobachtete uns, sagte aber nichts mehr.
»Ich würde ja sagen, wir sollten uns jetzt sinnlos betrinken«, sagte ich. »Aber erstens bin ich knapp bei Kasse und zweitens geht‘s mir nach unserer Batida-de-Coco-Orgie noch nicht wieder ganz so gut.« Ich zeigte auf mein Bier. »Nach diesem hier ist für mich Schluss. Ich werd‘s mir für den Rest des Abends einteilen.«
Nathalie stimmte mir zu.
»Mir ist auch nicht nach Betrinken«, sagte Julia leise. Sie beugte sich vor und nahm einen Tortillachip in den Mund.
Nathalie griff ebenfalls in die Schale. »So, was machen jetzt drei Mädels in einer Kneipe, ohne sich dem Alkohol hinzugeben?«
Julia und ich sahen einander fragend an.
Reden schien für Nathalie scheinbar keine Option. Sie zeigte mit einem Daumen zum Eingang. »Ich hab beim Reingehen gesehen, dass es hier auch einen Raum mit Billardtischen gibt.«
Ich schaute auf meine Hände. »Sorry, aber ich kann das nicht.«
Nathalie starrte mich an, als ob ich gesagt hätte, ich sei von Aliens entführt worden. »Wie jetzt?«
»Du kennst mich jetzt schon so lange und wusstest das nicht?«
»Wie sollte ich? Wir waren ja nie Billard spielen.« Sie rollte mit den Augen. »Okay, das erklärt, warum.«
Julia kicherte. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich das je zu dir sagen würde, aber, Scarlett, lass es uns tun.«
Nathalie trank gerade einen Schluck Guinness und musste lachen. Dadurch verschluckte sie sich und hielt sich die Hand vor den Mund.
Normalerweise hätten mich Julias Worte geschockt, aber der Anblick von Nathalie war einfach zu komisch. Als ihr einzelne Tropfen Bier aus der Nase liefen, konnte ich mich vor Lachen kaum noch auf der Sitzbank halten.
* * *
Nathalie legte die Kugeln in die Mitte des Tisches und erklärte mir die Regeln.
»Also kann ich aussuchen, ob ich die Halben oder die Ganzen wähle?«
Julia trat einen Schritt vor und schüttelte den Kopf. »Das hängt davon ab, was zuerst versenkt wird. Nathalie und ich spielen eine Runde und du schaust zu. Frag, wenn was unklar ist, okay?«
Ich nickte und setzte mich auf einen der Barhocker an der Wand.
Nathalie hatte den ersten Stoß, doch versenkte nichts.
Anschließend war Julia dran. Sie beugte sich über den Tisch und studierte eingehend die Kugelpositionen.
Erst jetzt betrachtete ich Julia näher. Ihre langen, schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Julias Pony fiel ihr in die Augen und sie schüttelte den Kopf. Als sie sich über den Tisch beugte, spannte sich ihre enge stonewashed Jeans über ihrem wohlportionierten Hintern. Und Julias Brüste zeichneten sich in dem eng anliegenden Top deutlich ab. Nicht, dass ich dem Beachtung geschenkt hätte. Na ja, normalerweise nicht. Aber mehrere Männer im Raum beobachteten mit offenem Mund, wie sich Julia bewegte, und ich war den Blicken gefolgt.
Julia schien es entweder nicht zu merken oder zu ignorieren.
»Nicht schlecht«, kommentierte ein junger Mann hinter Julia, kaum dass sie die zweite Kugel in Folge versenkt hatte.
Sie drehte sich zu dem Kerl um, lächelte und musterte ihn ausgiebig. »Danke.« Sie wandte sich wieder dem Spiel zu und verpasste es knapp, eine weitere Kugel in eine der Taschen zu schicken. Julia kam danach zu mir und stellte sich neben mich.
Ich starrte sie an.
Sie nahm einen Schluck von ihrem Guinness und begegnete meinem Blick. »Was?«
Ich runzelte die Stirn. Hatte ich das gerade richtig gesehen? »Hast du gerade mit dem Kerl da geflirtet?«
Julia schaute kurz zu dem jungen Mann.
Der lächelte sie an.
»Und wenn es so wäre?«, fragte Julia.
Ich beugte mich zu ihr vor, sodass mich niemand sonst hören konnte. »Aber du bist doch lesbisch.«
»Ich will nicht mit ihm in die Kiste hüpfen. Aber ich kann doch trotzdem mit ihm flirten.«
»Aber findest du ihn attraktiv?«
Julia betrachtete den Mann einen langen Moment und zuckte dann mit den Schultern. »Schätze, er sieht ganz gut aus.« Sie wandte sich mir zu. »Aber darum geht es nicht. Flirten macht gute Laune. Es ist gut fürs Selbstvertrauen und lockert die Stimmung.« Sie sah mich
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