Zwei Seiten
wollte immer sein wie ich und war bitterlich von sich selbst enttäuscht, wenn es mal nicht klappte.«
»Aber das erklärt doch ni…«
Julia hob die Hand. »Er sah zwar immer zu mir auf, aber ich war auch immer Konkurrenz für ihn. In allem. Bis auf eine Sache: Zumindest bei Mädchen konnte ich nicht mit ihm …«, sie machte Anführungszeichen mit den Fingern, »›konkurrieren‹.« Julia starrte ins Kaminfeuer. »Und dann outete ich mich. Obwohl das sicher ein Schock für ihn war, unterstützte er mich.« Julia lächelte. »Er ist wirklich ein wundervoller Mensch.«
Wundervoll? Ich widerstand nur mit Mühe der Versuchung, verächtlich zu prusten. Wie konnte Julia nach allem, was geschehen war, immer noch so reden?
Ihr Lächeln verblasste. »Olivers erste Freundin hat mit ihm Schluss gemacht, weil sie mich besser fand. Sie war hetero und dachte es trotzdem. Oder zumindest hat sie das Oliver gesagt.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich konnte seine Freundin von Anfang an nicht leiden. Nie hätte ich was mit der angefangen.« Julia betrachtete ihre Hände. »Ich habe viel über alles nachgedacht. Ich glaube, Oliver hat das Gefühl, versagt zu haben. Und in seiner Wut und Enttäuschung über sich selbst schlägt er um sich.«
Julia schien ihren Bruder so gut zu verstehen. Und ihre Sehnsucht, wieder mit ihm ins Reine zu kommen, war offensichtlich. Nur ich stand dem im Weg.
»Ohne mich zwischen euch könntet ihr euch womöglich wieder versöhnen.«
Julia ergriff meine Hand. »Ich werde unsere Freundschaft nicht aufgeben, damit sich Oliver vielleicht besser fühlt. Glaubst du denn wirklich, es würde an diesem Punkt etwas ändern?«
Ich zog meine Hand weg. »Aber er denkt doch …«
»Geht es hier darum, was Oliver denkt oder was die Leute denken?«
Ich starrte sie an. »Wovon redest du?«
Julias Hände umschlossen die Armlehne neben ihr. »Fast jeder um uns herum scheint zu glauben, wir sind ein Paar. Es geht hier gar nicht darum, was Oliver denkt, richtig?« Julias Stimme wurde lauter. »Du willst bloß nicht für eine Lesbe gehalten werden.«
Diesmal war es keine Frage, sondern eine Feststellung. Hatte sie recht?
»Warum, Scarlett?«
Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. »Warum was?«
»Warum ist dir die Meinung der anderen so wichtig?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Sie ist es. Was gibt es da mehr zu sagen? Nicht alles im Leben hat einen Grund, weißt du?«
Julia nickte. »Stimmt.«
Wir betrachteten einander für einen langen Moment.
Dann fragte Julia: »Wer bist du, Scarlett?«
Ich blinzelte einige Male. »Hä?«
Ein Lächeln huschte über Julias Gesicht. »Ich sage nicht, dass ich keine Fehler habe, aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden mit dem Menschen, der ich bin, und wie ich mein Leben lebe. Zweifellos gibt es Menschen, die das anders sehen. Aber die kommen und gehen.« Julia zeigte mit dem Daumen auf sich selbst. »Ich dagegen bin immer bei mir selbst und werde auch nie weggehen. Sollte es da nicht wichtiger sein, was ich über mich denke?«
Sie sah die Dinge zu simpel und unkompliziert. Das Leben funktionierte so aber nicht.
»Sind wir ein Paar?«, fragte Julia.
Ich riss die Augen auf. »Nein!«
»Wo ist also das Problem?«
»Na, d… d…«
Julia legte den Kopf zur Seite. »Ich frage noch mal: Warum ist dir die Meinung der anderen so wichtig?«
»Weil …« Eine furchtbare Traurigkeit überkam mich und ich begann zu weinen.
Julia schlang die Arme um meine Schultern.
Ich hielt mich an ihr fest. Was passierte hier gerade? Was zur Hölle war mit mir los?
»Schhh … es ist gut. Alles wird gut«, flüsterte Julia in mein Ohr.
»Ich will doch gar nicht, dass wir keine Freundinnen mehr sind«, jammerte ich und war dankbar, als Julia sich etwas von mir löste und mir ein Taschentuch reichte. Ich schnäuzte mir die Nase, stopfte das Tempo in meine Hosentasche und umarmte Julia erneut.
»Lass uns einfach sehen, wie sich alles entwickelt«, sagte Julia. »Womöglich sieht in ein paar Wochen alles schon ganz anders aus.«
Ich schmiegte mich an Julia an und entspannte. Wenn ich etwas im Leben gelernt hatte, dann, dass Probleme nie wegliefen, sich aber manchmal von alleine lösten. Vielleicht, nur vielleicht würde das ja dieses Mal auch passieren.
Kapitel 18
»Das ist es«, rief ich und zog Nathalie näher, damit sie die Ausstellware im Schaufenster des Juweliers besser sehen konnte.
»Hä?«
Ich rollte mit den Augen und zeigte auf einen Anhänger. »Das ist
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