Zwei Seiten
betrachtete ihre Hände und schüttelte wie in Zeitlupe den Kopf.
Das war doch wieder mal klar. So was musste doch kommen. Ich entschied mich zur Abwechslung mal für den direkten Weg. »Ist das ein Problem für dich?«
»Nein. Wieso sollte ich damit ein Problem haben?«
Dachte sie etwa, ich würde ihr das glauben? »Mama, sprich mit mir.«
»Was soll ich dir sagen, Kind?« Meine Mutter schaute aus dem Fenster. »Kümmer dich lieber um den Kuchen.«
Ich nickte und schüttete Mehl in die Schüssel auf der Waage. »Weißt du, ich habe keine Lust mehr, jedem immer wieder zu sagen, dass Julia und ich bloß Freundinnen sind.«
Meine Mutter musterte mich eindringlich. »Aber nicht von ihrer Seite.«
Mein Blick schnappte zu Mama. Mir konnte sie nichts andichten, also nahm sie jetzt Julia ins Visier? Mir fehlten die Worte. Das war einfach lächerlich. Schweigend wandte ich mich wieder meiner Arbeit zu.
»Du weißt es, stimmt‘s?«
Ich wirbelte herum und stemmte die Hände in die Hüften. »Mama, wovon redest du?«
Popeye löste sich von meiner Mutter und tapste aus der Küche.
Hatte ich ihn mit meiner Lautstärke verschreckt?
»Sie sieht dich vollkommen verliebt an. Kind, lass dich da nicht in etwas verwickeln.« Mama ließ den Atem laut entweichen und schüttelte mal wieder den Kopf. »Da wird nichts Gutes bei rauskommen.«
Ich hatte wirklich gedacht, meine Mutter wäre nicht so extrem wie Papa. »So ein Quatsch. Nur weil sie lesbisch ist, heißt das nicht, dass sie sich in jede Frau verliebt.« Schwungvoll schlug ich ein Ei an der Schüssel auf. »Und was soll der Schwachsinn mit sich in etwas verwickeln lassen?« Ich atmete einmal tief ein und wieder aus, in der Hoffnung, das würde mich beruhigen. Zu meiner Überraschung half es tatsächlich. »Sollen wir jetzt über mögliche Gefühle meiner Mitbewohnerin sprechen oder über was Anderes?«
»Gut.« Meine Mutter schürzte die Lippen. »Reden wir über deine Gefühle.«
Ich rollte mit den Augen. Am liebsten wäre ich jetzt rausgestürmt. Es war nervig. Warum unterstellte sie mir bloß so was? »Ich hab sie sehr lieb. Als Freundin. Mehr ist da nicht.« Etwas ungeschickt fischte ich ein Stück Eierschale aus der Schüssel.
»Sehr lieb«, wiederholte meine Mutter kaum hörbar.
»Mama, bitte, lass uns das Thema wechseln.«
Mein Appell hatte wohl was gebracht, denn sie stoppte ihre Verdächtigungen bezüglich mir und Julia.
Die nächsten Minuten sprachen wir über Tante Ediths Knieoperation. Nicht wirklich interessant, aber wenigstens lenkte es von dem scheinbar allgegenwärtigen Thema ab.
* * *
Als der Kuchen im Ofen war und ich aufgeräumt hatte, gingen meine Mutter und ich mit der Eieruhr in der Hand ins Wohnzimmer.
Wir nahmen beide auf der Couch Platz.
Von Popeye war weit und breit keine Spur.
Meine Mutter war ungewöhnlich still. Hoffentlich plante sie nicht die nächste Runde des scheinbar in der letzten Zeit populär gewordenen Gesellschaftsspiels »Dichte Julia und Scarlett eine Beziehung an«.
»Weißt du, Scarlett«, sagte sie nach einer Weile mit leiser Stimme. »Es gibt da etwas, von dem bloß vier Menschen außer mir wissen. Zwei andere, die die Wahrheit kannten, sind tot. Einer von diesen Menschen war dein Vater.«
Was sie sagte, machte mich neugierig, aber gleichzeitig beschlich mich das Gefühl, dass ich nicht hören wollte, was meine Mutter zu sagen hatte.
»Bei der Hochzeit mit deinem Vater war ich zweiundzwanzig.«
Ich nickte. Das war nichts Neues.
»Was du nicht weißt, ist, … ich hatte eine andere Beziehung, bevor ich seine Frau wurde.«
Wow, das war mehr, als ich über das Liebesleben meiner Mutter je wissen wollte. Definitiv. »Mama, warum erzählst du mir das?« Oh Gott … war ich ein Kuckuckskind?
»Hör einfach zu, mein Engel.« Meine Mutter holte tief Luft und begann zu erzählen: »Kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag lernten wir uns kennen. Erst waren wir nur befreundet. Aber nach etwa einem Jahr wurde mehr daraus.« Mama starrte auf den Teppich. »Wir waren so verliebt. Jede freie Minute verbrachten wir zusammen. Doch niemand durfte von unseren Gefühlen füreinander erfahren. Unsere Eltern hätten es niemals verstanden.«
Klang wie Romeo und Julia. Total romantisch.
Meine Mutter lächelte flüchtig. »Trotz des ständigen Versteckspiels hatten wir zwei wundervolle Jahre miteinander.« Ihr Gesichtsausdruck erstarrte. »Dann kam alles raus. Wir durften uns nicht mehr sehen, und ich wurde in eine andere Stadt
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