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Zwei Sonnen am Himmel

Titel: Zwei Sonnen am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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erforderlich sind. Doch nicht dieses Boot interessiert uns. Folgt mir!«
    Er ging ohne Hast. Sein Mantel schleifte über die Steine. Die Mole führte in einen kleinen Hafen, wo eine mächtige Basaltsäule stand, deren Spitze sich in den finsteren Höhen eines Gewölbes verlor. Es war unmöglich, zu sagen, ob diese Säule einst von Menschenhand errichtet wurde oder ob sie eine von der Natur gebildete Steinformation war. Aus einer Felsspalte drang ein Lichtstreifen. Der Priester-König zwängte sich durch die Öffnung. Usir und Isa, die ihm folgten, traten in ein kleines, in den Felsen gehauenes Gelass. Schwarze Zeltbahnen bedeckten die Wände, an denen einige Gefäße und Truhen standen. In einem Eisenring steckte eine würzig duftende Fackel. Sie beleuchtete einen in der Mitte des Raumes stehenden Mann. Es war - Usir erkannte ihn sofort - der Alte mit dem länglichen Schädel und den schräg stehenden Augen, der ihn an der Schwelle zum großen Audienzsaal empfangen hatte. Unzugänglich und hoch aufgerichtet stand er dort und barg die Hände in den Falten seines Gewandes.
    Â»Ist alles bereit?«, fragte Atlar.
    Der Alte verneigte sich. »Ja, Herr«, entgegnete die kalte, tonlose Stimme.
    Â»Dann geh also!«, sagte Atlar.
    Der Alte wandte sich ab und verließ den Raum.
    Â»Nun denn, so kommt!«, sagte der Priester-König zu den jungen Leuten, die den Wortwechsel in stummer Verwunderung mit angehört hatten. »In wenigen Augenblicken werdet ihr vieles wissen …«
    Seine Worte wurden von einem Stöhnen unterbrochen, das aus dem Innern der Mauer zu dringen schien. Und dann folgte ein so entsetzlicher, so unmenschlicher Schrei tiefsten Grauens, dass es Usir und Isa kalt über den Rücken rieselte. Instinktiv wollte Usirs Hand nach seinem Dolch greifen. Doch ein plötzlicher Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss, hielt ihn davon zurück.
    Atlar hatte sich nicht gerührt. Usir spürte den amüsierten Blick aus den Tiefen seiner Augenhöhlen. »Ihr fürchtet euch doch nicht?«, fragte er.
    Die Antwort kam, halb erstickt vor Zorn, von Isa. »Nein, wir fürchten uns nicht, gleichgültig, was hier vor sich geht.«
    Der Priester-König betrachtete sie nachdenklich. »Ich bewundere deinen Mut«, sagte er. »Niemals zuvor begegnete ich einem sterblichen Wesen, das den Mächten der Finsternis zu trotzen wagte. Und obgleich ich dich zur Unterwerfung zwingen könnte, werde ich davon absehen. Ich möchte, dass du völlig unbefangen … meine Macht zu spüren bekommst.«
    Er wandte ihr den Rücken zu und verließ wieder das Felsgelass. Usir und seine Gefährtin schlossen sich ihm an. Sie schritten durch einen engen, stockfinsteren Gang. Ein gedämpftes, unregelmäßiges Klopfen wurde immer deutlicher hörbar. Irgendwo fluchte und brüllte eine Stimme und rief nach Licht. Der Weg verengte sich derart, dass ihre Schultern den rauen Felsen streiften. Dann erhellte sich der Gang durch rötlichen Fackelschein und sie betraten einen halbkreisförmigen, unglaublich hohen Saal, in dem eisige Kälte herrschte. Auf der gegenüberliegenden Seite gab eine in die Mauer gehauene Öffnung den Blick auf das Meer frei. Mit dumpfem Tosen leckten die Wogen über die abwärts führenden Stufen. In Eisenringen steckende Fackeln beleuchteten eine Anzahl Männer, die in regelmäßigen Abständen an der Mauer saßen oder standen. Nichts trennte sie voneinander, weder Gitter noch Schranken: Dennoch schienen sie wie von einer geheimnisvollen Kraft, der sie sich nicht widersetzen konnten, auf unerklärliche Weise an ihre Plätze gebannt. Alle hatten ein dürftiges Lager und einige Stofffetzen, die ihnen als Decke dienten. Neben ihnen standen eine Tonschüssel voller Nahrung und ein Krug Wasser. Sonst nichts. Die meisten Männer verharrten mit gesenktem Kopf in einer Haltung stumpfer Mutlosigkeit. Ihre abgezehrten Gesichter wirkten völlig ausdruckslos. Einige bewegten sich, jedoch nur sehr langsam und mit äußerster Mühe; andere stöhnten oder stammelten wirre Satzfetzen, die sie mit fahrigen Gesten begleiteten.
    Atlar hatte seine Kapuze zurückgeschlagen. Sein Gesicht hob sich weiß vom dunklen Hintergrund ab: Es wirkte wie das Antlitz des Todes selbst. Die bleiche Haut spannte sich über schön geformte Knochen, während der Blick in den schwarzen Schatten der

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