Zwei Toechter auf Pump
danach fasziniert mich so, daß es dreiviertel vier ist, als ich gerade den letzten Floh, ein wahrhaft elefantisches Wesen, unter meinem Daumennagel knacke.
Drüben steht Margot schon angezogen in der Diele, obwohl doch noch eine Viertelstunde Zeit ist. Mein Gott, sieht das Mädel elend aus!
»Wo treffen wir uns denn mit Buddy?« frage ich.
»Am Bach.«
Unten am Krebsbach steht Buddy. Er hat den Kragen hochgeschlagen und tritt von einem Bein aufs andere, obwohl es doch gar nicht mehr so kalt ist, sondern ringsum taut. Auch er sieht hager und hoffnungslos aus. Wir schütteln uns schweigend die Hand und gehen dann am See entlang. Er ist draußen schon aufgebrochen und schimmert azurblau. Am Ufer hält das Eis noch, wenn es auch dumpf klirrt und unter unseren Füßen Risse entstehen, die vor uns herlaufen. Buddy schleudert ein Eisstück, es schlurrt, Sonnenblitze sprühend, lange Zeit über das Eis, bis es ganz hinten über den Rand kippt und im offenen Wasser verschwindet. Jetzt müssen wir auf den Weg zurück, weil in der kleinen Bucht zwischen dem Schilf schon Wasser steht. Auf der Koppel am Weg, die nur noch einzelne dünne Eisinseln hat, bewegt sich etwas. Wir bleiben stehen. Es sind Wachteln beim Liebesspiel. Zwei Männchen verfolgen sich heftig im Kreis herum, prallen gegeneinander, fechten erbittert, während die Henne sich gegen den Boden schmiegt und den Kampf beobachtet. Der eine der Duellanten gibt auf, und der Sieger nähert sich dem Weibchen. Das aber geht so wütend auf ihn los, daß er in niedrigem Flug davonbrummt.
»Auch da geht’s nicht glatt«, sagt Buddy düster. Es ist das erste, was er überhaupt sagt. Margot hat mich untergehakt und drückt meinen Arm: »Colonel, hattest du nicht auch mal so eine große Liebe, eine ganz große, als du in unserem Alter warst?«
»Ja«, antworte ich mechanisch, »gewiß.«
»Ach, erzähl uns doch davon!«
In mir krampft es sich zusammen: »Ich hab’ noch nie jemandem davon erzählt.« Da merke ich, wie sich eine Hand auch unter meinen anderen Arm schiebt: Buddy! Während sich alles in mir wehrt, die alte Wunde aufzureißen, sehe ich von einem zum anderen, und in beiden Augenpaaren lese ich so viel verzweifeltes Vertrauen, daß mein Widerstand schmilzt. Ich hole tief Atem, ich fühle, wie in meinem Innern das alles noch einmal lebendig wird, dieser letzte schmerzliche Ausklang meiner fernen Jugend.
»Tja, das war — das war in dem Jahr, als ich mich mit Marion verlobt hatte.«
»Wer ist Marion?« fragt Margot.
»Habe ich euch das nicht erzählt?«
»Nein. Du hast uns nur von Steffi und Erika erzählt, wie du die eine vergessen hast, weil du Soldaten bekommen hast, und dann mit der von den Briefchen und der Regenrinne, die wegzog, als du verreist warst.«
»Richtig, von Marion habe ich euch nichts erzählt. Also, kurz und gut, ich war verlobt mit einem sehr schönen Mädchen, dessen Bruder ich Nachhilfestunden gab.«
»Wie alt waren Sie damals?« fragt Buddy.
»Knapp achtzehn. Aber nimm das bitte nicht als Parallelfall«, versuche ich zu scherzen. »Das Verloben war damals eine Angewohnheit bei mir, und kein Mensch außer mir nahm es ernst, nicht einmal die Mädchen, denen es galt. Das heißt, eine nahm es doch ernst, und das war meine Tante Lisi. Sie war eine sogenannte Nenn-Tante, sehr reich, und sie hatte mich für die Sommerferien in ihr Landhaus in Thüringen eingeladen, damit ich nach den Hungerjahren des Krieges und den Aufregungen der Revolution erst mal wieder zu Kräften kommen sollte. Tante Lisi und Onkel Alex — Alex Wuffius, ein großartiger Mensch, so richtig reif und klug, mehr als klug: weise. Dabei wirkte er gar nicht so, hatte ein rundes rotes Weingesicht, einen eisgrauen Schnurrbart und blondgefärbte Haare mit einem Mittelscheitel. Auch seine fast übertrieben korrekte und elegante Kleidung spiegelte etwas von kleiner Eitelkeit.
Zu seiner Frau war er der vollendete Kavalier, mit Handkuß am Morgen und Blumen am Nachmittag. Das Haus führte er im großen Stil. Es gab die alte Haushälterin Magda und einen Chauffeur, Willkens, der einen uralten Rolls-Royce betreute und sich nebenbei als Gärtner betätigte. Das Haus lag inmitten eines Parks auf einem Hügel, äußerlich ein scheußliches Ding mit kleinen Türmchen und vielen Erkern, aber innen mit sehr schönen Räumen und mit der breiten Üppigkeit eines soliden Reichtums eingerichtet. Unten, zu beiden Seiten der Flußschleife, lag der Ort. Wie hieß er bloß — Erzberg oder so
Weitere Kostenlose Bücher