Zwei Toechter auf Pump
Judith, der großen Liebe meiner Jugend, getanzt. Die Szene rückt auseinander, verwandelt sich: Berlin, Marmorsäle — auch ein Maskenball. Wir hatten uns lange nicht sehen können. Ich glühte die ganze Woche hindurch vor Aufregung — aber am Vortag des Balles bekam ich eitrige Angina. Trotzdem ging ich, mit neununddreißig Grad Fieber. Ich ging wie auf Watte und sah alle Dinge wie aus dem Innern eines Kachelofens heraus. Dann erblickte ich sie — irgendwas aus grüner Seide mit Turban, die großen braunen Augen darunter strahlend wie zwei Sonnen. Ihr leidenschaftlicher Mund, ihre Arme um meinen Hals, ihr geliebter Körper an mich gepreßt, daß wir wie ein einziges Wesen zusammenbrannten.
»Küß mich nicht«, sagte ich, »ich bin krank.«
»Dann will ich auch krank sein!« Und sie küßte mich, mitten unter tausend Leuten, auf den Mund. Wir tanzten, bis mir schwarz vor den Augen wurde und ich zu taumeln begann. Sie stützte mich, als ich die große Marmortreppe hinunter zur Garderobe wankte. Half mir in den Mantel: »Soll ich dich nicht nach Hause bringen?« Ihre tiefe, etwas heisere Stimme. Nein, sie solle sich nicht in dem schönen Vergnügen stören lassen. Nur küssen möge sie, bitte, keinen anderen.
»Das schwöre ich. Nimm dir ein Taxi, Liebster.«
Ich wandte mich an der Drehtür noch einmal um. Sie stand auf der halben Treppe wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht und winkte mir zu. Und drinnen im Saal spielte man den Tango — diesen Tango. Nie mehr im Leben habe ich mit ihr getanzt. Nie mehr...
»Colonel! Ich hab’ dich gar nicht erkannt! Schick siehst du aus! Willst du nicht mal mit mir tanzen?«
Es ist Margot. Und sie hat dieselben großen, braunen Augen. Etwas kleiner ist sie — aber der gleiche Duft heißer Jugend umhüllt sie...
»Ja, komm schnell, solange sie noch diesen Tango spielen.«
Wir tanzen. Um mich verwirren sich Zeit und Welt. Dann, mit den letzten Takten, ist der Zauber zu Ende. Was war denn — ach so, da hatte ich ja diese kleine Krabbe im Arm. Aus der Maske sehen mich zwei Augen prüfend an: »Ja, Colonel — du kannst einem ja direkt gefährlich werden!«
»Ich? Hm. Wo ist Susanne?«
»Buddy tanzt mit ihr.«
»Schön. Dann kann ich mich mal um Theo kümmern.«
»Wer ist Theo?«
»Ach, ein Freund von mir. Hast du ihn nicht gesehen, so ‘n Mephisto mit ganz dünnen, roten Trikotbeinen, schwarzes Seidenmäntelchen, Degen — ach nein, den haben wir ja weggeworfen, aber ein Barett mit Pfauenfeder. Vielleicht aber haben ihm die Frauen die Feder schon ausgerissen. Er soll es ja so toll treiben.«
»Nein, nicht gesehen.«
»Macht nichts. Paßt weiter auf Susanne auf.«
Theo finde ich im sogenannten Nebenzimmer, wo er wie eine Kreuzspinne auf einem Barstuhl hängt und ein kleines Pilsner trinkt. Ich bestelle mir auch eines und klettere auf den Nachbarhocker: »Was treibst du denn hier, Mephisto? Ich dachte, ich würde dich aus einem Gebirge von Weiberfleisch ausbuddeln müssen.«
Er bläst den Schaum vom Bier und hält es gegen das Licht: »Ich warte auf das große Erlebnis.«
»Aha. Und du glaubst, es kommt so von allein hierher?«
Er seufzt unendlich gelangweilt, wie ein Mathematikprofessor, der von einem Vorschüler interviewt wird: »Natürlich. Im übrigen machst du auch keinen sehr erfolgreichen Eindruck.«
»Hatte ‘nen Fehlstart. Weil ich mit euch allen soviel zu tun habe, daß ich mich nicht um mein Kostüm kümmern konnte. Aber jetzt, als Seeräuber, habe ich Chancen, mein Lieber! Sogar bei der jüngsten Jugend.«
Er seufzt wieder: »Vielleicht gerade bei der. Du siehst wirklich etwas nach Kinderbilderbuch aus.« Seine Haltung verändert sich plötzlich, er holt die Maske herunter, die er auf die Stirn geschoben hatte, klettert vom Stuhl und verbeugt sich nach altspanischer Etikette, mit tiefem Kratzfuß, die Kappe gegen das Herz gedrückt. Das Objekt dieser Huldigung ist etwas Kleines, Kohlschwarzes, mit Wuschelkopf, schwarzem Trikot und aufgenähten Silbersternen.
»So, hast du mich nicht vergessen, holde Königin der Nacht? Darf ich dir meinen Freund vorstellen, Sindbad der Seefahrer, der für einen Augenblick hier vor Anker gegangen ist.«
Er betont den »Augenblick« sehr deutlich, aber das Schwarze demaskiert sich, schüttelt die Locken und ist niedlich-frech. Sie nimmt auch mir die Maske ab und mustert mich: »Ich kaufe nicht gern die Katze im Sack!« erklärt sie mit der Nüchternheit einer Obsthändlerin. »Du kannst auch hierbleiben.«
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