Zwei wie wir: Roman (German Edition)
h muss raus. Ich brauche Luft. Ich muss atmen! Sonst ersticke ich. Also greife ich zum Telefonhörer. »Hallo, Gerrit. Hier ist Alex.«
In der Leitung entsteht ein kurzes Schweigen, dann höre ich Gerrits in die Länge gezogene Stimme: »Alex! Du lebst noch? Schön, deine Stimme zu hören. Was gibt’s?«
»Hast du Zeit?«
Gerrit lacht, und zwar so, dass mein Handy in meiner Hand zu vibrieren beginnt.
»Immer noch Ärger mit Inna?«, fragt er dann.
»Kann man so sagen.«
»Armer Kerl.«
»Mach dich nicht lustig, Gerrit. Immerhin hast du Sandra angeschleppt.«
»Bin ich jetzt schuld, oder was?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Egal, vergiss es. Zurück zum Thema. Plan B also. Alles klar, machen wir. Wo treffen wir uns?«
Gerrits Hirn produziert mehr natürliches Amphetamin als alle polnischen und russischen Geheimlabore in einem Jahr. So war er schon immer. Ein Typ auf der Überholspur, und das seit zwanzig Jahren. Trotzdem sind wir immer noch befreundet. Auch wenn Inna davon alles andere als begeistert ist. Aber darauf kommt es jetzt nun wirklich nicht an.
Zwei Stunden später fahren wir in Gerrits Mustang über die A7 in Richtung Süden. Nicht, dass wir ein Ziel hätten. Aber wir fahren einfach mal los. Gerrit eben.
Über die Anlage läuft etwas von Mötley Crüe, wovon ich zum Glück nicht viel hören kann, weil der Motor mehr Lärm macht als eine startende Boeing.
Unterwegs erzähle ich Gerrit von meinem Streit mit Inna. Die Vorwürfe, das Schweigen, die Kälte.
Als ich mit meinem Bericht fertig bin, sieht Gerrit mich an. Lange. Zu lange dafür, dass er 170 Stundenkilometer fährt.
»Sieh nach vorne, Gerrit. Bitte.«
»Angst?«
»Allerdings.«
»Haha.«
»Hör auf mit dem Mist.«
Gerrit kaut eine Weile auf seiner Unterlippe und fragt dann: »Worüber wunderst du dich, Alex? Du hast mit Sandra rumgemacht, Inna hat dich dabei erwischt. Und jetzt ist dicke Luft. Jammern bringt nun wirklich nichts.«
»So sieht es aus.«
»Und? Was hast du jetzt vor?«
»Keine Ahnung. Das ist ja das Problem. Sie macht meiner Meinung nach ein zu großes Ding draus.«
Gerrit wedelt mit der Hand, als hätte er mich bei etwas Schlimmen erwischt. »Was für ein Scheiß, Alex. Du gehst das ganz falsch an. Lass Gras über die Sache wachsen. Und mach Männchen. Müll rausbringen und so. Mach ich mit Conny immer so.«
»Conny?«
»Mit der habe ich gerade was. Seit letzter Woche, oder so. Könnte was Festes werden.«
Ich will noch etwas sagen, aber das geht in Gerrits schepperndem Lachen unter. Dann drückt er das Gaspedal durch, und ich werde mit mindestens 3G in den Sitz gepresst. Ist zwar ein alter Wagen, aber offenbar ein neuer Motor.
Abende mit Gerrit enden immer an unvorhergesehenen Orten. Diesmal landen wir nach ein paar Stunden sinnlosem Rumgegurke auf einem Autohof in der Nähe von Salzgitter. Wir stellen den Wagen zwischen geparkten LKW ab und verbringen die nächsten Stunden in einem American Diner, wo wir mit frustrierten, langbärtigen Truckern zu viel Bier trinken. Wir reden mit ihnen über Frauen, Männer und alles, was zwischen ihnen schiefgehen kann.
Immerhin lassen die Trucker über eines keinen Zweifel aufkommen: Es geht schief. Und zwar immer. Egal, wie viel Mühe man sich gibt. Deswegen solle ich mir auch nicht allzu sehr den Kopf über die Sache mit meiner Frau zerbrechen. Es käme wieder in Ordnung. Oder auch nicht. So ist das Leben.
Na, vielen Dank auch für den Trost.
Der Morgen graut schon, als Gerrit und ich das Restaurant verlassen. Die Trucker steigen in die Kabinen ihrer Zugmaschinen und machen sich lang. Wir stolpern über den Parkplatz zurück zum Mustang.
»Du willst dich in dem Zustand doch wohl nicht hinters Steuer setzen, Gerrit?«, frage ich ihn.
»Warum denn nicht?«
»Weil ich morgen früh noch leben möchte!«
»Es ist morgen früh.«
»Du weißt, was ich meine.«
»Mach keinen Stress, Alex. Ich wollte gar nicht mehr fahren. Ich habe nämlich eine viel bessere Idee. Vor allem für dich. Wird dich auf andere Gedanken bringen.«
Er zerrt mich an den parkenden LKW vorbei in die hinterste Ecke des Parkplatzes, wo ein paar Wohnmobile stehen. Über den Türen glimmen bunte Weihnachtslämpchen, in den Fenstern rote Kerzenimitate.
»Hör auf, Gerrit. Vergiss es.«
»Wird dir guttun, Alex. Glaub mir.«
»Gott, das war früher nicht Plan B.«
»Stimmt, das war Plan C. Spaß gemacht hat’s aber schon immer.«
Das ist wahr. Gerrit ist der einzige Typ, den ich kenne, der
Weitere Kostenlose Bücher