Zwei wie wir: Roman (German Edition)
die Erinnerung an die vergangene Nacht durch den Kopf. Irgendwann hatte Sandra zu mir gesagt: »Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nicht gedacht, noch mal von dir zu hören.«
Aber als ich sie angerufen hatte, hatte sie das Gegenteil gesagt. »Und wieso nicht?«, fragte ich sie.
»Keine Ahnung, einfach so. Wegen dem Stress mit Inna. Oder weil du einfach nicht so bist. Tja, aber du konntest mir ja wohl doch nicht widerstehen. Selbst schuld.«
Ich fand ihre Bemerkung bizarr. War sie selbstbewusst oder das Gegenteil davon? Ich sah sie an, aber sie drehte den Kopf zur Seite und verhinderte, dass ich ihr ins Gesicht sah. Woher wollte sie wissen, wie ich bin oder nicht? Zugegeben, in der Nacht war ich mir selbst nicht ganz sicher. Aber dann folgte der Morgen in der WG . Es war nett. Aber mehr auch nicht. Das Kapitel ist einfach vorbei für mich. Ich habe keine Lust, in einer Zeitblase zu leben. Die Dinge sind vorangeschritten, und das ist gut so. Es gibt kein Zurück.
Als die Kinder im Bett sind, sitzen Inna und ich in der Küche. Die erste Hürde nehme ich noch mit Bravour. Die Wo-warst-du-eigentlich-letzte-Nacht-Frage.
»Bei Torsten«, antworte ich. »Wir waren was trinken. Es ist spät geworden. Er hat mir sein Sofa geliehen.«
»Nett von ihm.«
»Wir haben viel miteinander geredet. Auch über uns.«
»Und du hattest wieder einmal keine Zeit anzurufen?«
»Tut mir leid. Ich hab’s vergessen. Wir waren so vertieft in das Gespräch. Es hat mir geholfen. Ich sehe jetzt so einige Dinge klarer. Ich war ein ziemlicher Idiot. Ich möchte mich bei dir entschuldigen.«
Sie lächelt, erschöpft, aber auch friedlich. »Ich kann dir nicht sagen, wie gut es tut, das zu hören.«
»Torsten hat mir die Augen geöffnet. Ich habe eingesehen, dass ich mich echt danebenbenommen habe.«
Wir sehen uns in die Augen und fühlen uns dabei wie die Bauarbeiter der Union Pacific und der Central Pacific, die nach ewiger Schufterei endlich ihre Schienen irgendwo in den Rocky Mountains zusammenschließen. Es war eine verdammt harte Arbeit, aber es hat sich gelohnt. Ab sofort können die Züge zwischen beiden Küsten rollen. Wir gehören zusammen.
»Ganz schön albern, oder?«, sagt Inna dann mit leiser Stimme.
»Was genau meinst du?«
»Uns. Die letzten Wochen, alles.«
»Allerdings. Ziemlich albern.«
»Na ja, was passiert ist, war vielleicht nötig, damit wir etwas merken, oder? Wir haben uns etwas vorgemacht in der zurückliegenden Zeit, Alex. Also eigentlich … Ich bin richtig froh, dass es passiert ist.«
»Was jetzt?«, frage ich erstaunt.
»Das mit dir und Sandra. Okay, es hätte nicht unbedingt an unserem Hochzeitstag sein müssen, aber … Alex?«
»Ja, was denn?«
»Warum guckst du so komisch?«
»Tue ich doch gar nicht.«
»Und ob du das tust.«
Das Lächeln verschwindet aus Innas Gesicht. Sie kneift die Augen zusammen und mustert mich. Wie Columbo, wenn er einen Verdächtigen ins Visier nimmt. Während die ganzen anderen Police-Officers noch im Dunklen stochern, weiß Columbo längst Bescheid. Gut möglich, dass es bei ihr jetzt genauso ist.
»Lass uns noch einmal kurz zum Anfang zurückkommen, Alex«, sagt sie gedehnt.
»Was meinst du genau?«
»Ich frage dich einfach noch einmal: Wo warst du letzte Nacht?«
»Habe ich doch gesagt. Bei Torsten.«
»Lüg mich bitte nicht an, Alex.«
»Tue ich nicht.« Ein Tonfall wie ein Zehnjähriger.
»Du weißt, was wir uns einmal vor langer Zeit geschworen haben?«
»Die Treue?«
»Ja, die auch. Und dass wir immer ehrlich zueinander sein wollen, auch wenn es wehtut. Erinnere dich, das Video.«
»Ja, klar.«
»Und wenn dich meine Meinung interessiert: Ehrlichkeit ist wichtiger als Treue.«
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Treu sein oder ehrlich? Eins von beidem wird jetzt auf der Strecke bleiben. Wobei ich finde, dass es für beides gute Argumente gibt. Und gute Gegenargumente. Torsten ist das beste Beispiel. Ehrlich ist er nicht. Aber ohne das, was er tut, wären er und Katarina schon längst nicht mehr zusammen. Ich könnte doch irgendwie dasselbe behaupten, oder?
»Warst du bei ihr?«, fragt Inna.
»Bei wem?«
»Komm schon. Tu mir das nicht an.«
»Wirklich, ich habe keine Ahnung, was du meinst!«
Inna hat Sendepause. Sie schließt die Augen. Vielleicht ist es auch wie bei Kommissar Rex . Sie kann es riechen.
»Du hast sie getroffen«, stellt sie dann fest. Keine Frage. Eine Antwort. Leugnen ist zwecklos. Obwohl ich es vielleicht trotzdem tun
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