Zwei Wochen danach (German Edition)
sagen. Doch was sollten sie machen, als Marcus immer wieder die gleiche Frage gestellt hat? Sein kleines Herz konnte es nicht begreifen.
Da haben sie sich eben etwas einfallen lassen. Wohl war ihr nicht dabei, aber es machte die Sache einfacher.
Kristel schaltet das Licht aus und dreht sich zur Seite. Ludwig schläft schon lange.
Donnerstag, Freitag ist er wenigstens zu Hause, denkt Kristel.
Sie muss sich überlegen, was sie morgen mit den Kindern macht. Aber sie hat keine Kraft, sich den Tag in seinen Einzelheiten vorzustellen. Sie schließt die Augen und wartet auf den Schlaf.
***
Dienstag
(Nicole)
Warum habe ausgerechnet ich solches Glück? Warum nicht die Andere?
Ich stehe vor dem großen Fenster und starre ins Leere. Diesmal bin ich allein in der Klinik.
Ich höre die Geräte im Hintergrund um die Wette säuseln. Seit gestern Abend liegt ein Mann neben Ralph.
Wie alt er ist, kann man kaum sehen. Sein Körper ist fast vollständig eingebunden. Doch zu seinen Füßen steckt ein Schild:
07.05.1978
Motorradunfall, hat Joachim gestern beim Abendessen erzählt.
Mir fällt auf, dass ich jedes Mal Angst gehabt habe, wenn ich hergekommen bin. Angst, Ralph zu verlieren.
Aber heute ist es anders. Heute schäme ich mich dafür, dass mein Mann noch lebt.
Ich denke an den gestrigen Nachmittag und muss weinen. Es ist ein unbekanntes Gefühl. Aber ein starkes.
So stark, dass ich mir den zweiten Stuhl im Raum zum Fenster ziehe und mich setzen muss. Mit dem Rücken zu Ralph und dem Motorradfahrer, weil ich ihren Anblick nicht ertragen kann.
Ich habe Herrn Arendt noch einmal angerufen. Habe ihn nach dem Termin für die Beerdigung gefragt, weil es mir keine Ruhe gelassen hat.
Er wusste nichts Neues.
Nur, dass Ralphs Flugzeug geborgen wurde.
Aber ich solle doch mal beim Flugplatz Oberschleißheim anrufen und mir die Telefonnummer des Vereins von Sebastian Awe geben lassen. Er denkt, dass erst die Obduktion abgewartet werden muss.
Sebastian Awe. Ich konnte nicht anders. Ich habe dort angerufen.
Den Termin für die Trauerfeier hat man mir noch nicht sagen können. Der freundliche Mann hat sich meine Nummer aufgeschrieben und versprochen, sich zu melden.
Dann hat er sich nach Ralph erkundigt.
Keine Ahnung, ob er ihn persönlich gekannt hat.
Ich habe ihm gesagt, dass Ralph noch im Koma liegt, aber seine Lage stabiler ist.
„Sie haben Glück gehabt“, hat er geantwortet. „Sebastian Awe hinterlässt zwei kleine Kinder.“
Dann hat er aufgelegt und mich mit dieser schlimmen Situation allein gelassen. Keiner war da, mit dem ich darüber reden konnte. Renate saß bei Joachim im Wohnzimmer.
Ich habe die Nummer von meinen Eltern gewählt, aber ich musste wieder auflegen, weil ich kein Wort herausbekam.
Der Gedanke daran, dass die Frau des Piloten zwei kleine Kinder hat, war schrecklich. Was hat Ralph da nur angerichtet?
Ich hielt es nicht mehr aus und beschloss, mich mit Schlaf zu betäuben. Doch heute Morgen sind die Vorwürfe wieder da und wieder bin ich allein.
Allein zwischen Geräten.
Zwischen Geräten, weißer Bettwäsche und zwei Männern, die offenbar beide das Risiko lieben. Es macht mich wütend.
Und dann frage ich mich, wer um den Motorradfahrer bangt.
***
(Heike)
„Wir müssen zu einer Lösung kommen! Wenigstens das Grundlegende müssen wir klären, bevor ich mich an einen Bestatter wende.“
„Ich kann nicht!“ Heike will, dass alles so bleibt. Sie ist froh, dass ihre Schwägerin gekommen ist, aber die Planung der Beerdigung überfordert sie.
Veronika wird langsam ungeduldig. „Soll ich die Leute ins Haus holen? Willst du dabei sein?“
„Nein!“ Heike reißt die Augen auf. Sie setzt sich im Bett auf und zieht die Knie an ihren Hals.
„Ich hab meinen Mann umgebracht. Ich kann ihn doch jetzt nicht begraben, als wäre nichts geschehn!“
„Hör auf, so zu reden!“ Veronika rüttelt Heike energisch an den Schultern. Sie wird laut. „Sebastian hat in der Maschine gesessen, nicht du! Jeder ist für sein Leben selbst verantwortlich! Und das mit Sebastian war ein Unfall!“
Heike sieht sie unbeteiligt an. Sie wird diese Beerdigung nicht ertragen. Sie will keine Beerdigung!
„Ich weiß, dass es nicht einfach für dich ist, Heike, aber du musst aufhören, dir Vorwürfe zu machen! Das macht dich ja kaputt! Und uns alle mit!
Denk an deine Kinder! Die leben noch!“ Veronika steht erregt auf.
„Ohne Sebastian ist alles sinnlos“, sagt Heike leise.
Ihre Schwägerin
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