Zwei Wochen danach (German Edition)
ich, als ich meine Serviette auf meinem Schoß zurechtlege. Ich habe den Eindruck, dass Renate der Auftritt ihres Mannes peinlich ist. Beschwichtigend greift sie unter dem Tisch zu ihm hinüber.
Raphael stopft den Reis mit der Gabel in sich hinein. Keine Zeit für Stäbchen. Frustessen, denke ich und widme mich meiner Suppe.
Ich hätte wissen müssen, dass chinesisch nicht das Richtige für meinen Schwiegervater ist. Vielleicht wollte ich es darauf ankommen lassen? Schließlich ist er ein Mann von Welt!
Als Joachim endlich seine Bestellung bekommt, fängt Renate auch an zu essen und wir schweigen alle vor uns hin.
Ich stelle mir vor, wie Joachim nachher den Geldbeutel zücken wird und die kleine Chinesin garantiert kein Trinkgeld von ihm erhält.
Ralph ist ähnlich.
Mir fällt die Situation ein, als ich ihn vor ein paar Jahren in der Weihnachtszeit mit Susanne im Institut besucht habe.
Seine damalige Sekretärin versicherte sich erst, dass Ralph außer Hörweite war, bevor sie leise wie eine Verbündete zu mir sprach.
Was sie zu mir gesagt hat, habe ich schnell vergessen. Aber ihr Gesichtsausdruck ist mir bis heute erhalten geblieben.
Ich mochte die ältere Dame, die ein Überbleibsel von Ralphs Vorgänger war.
Ralph hatte immer etwas an ihr auszusetzen.
Jetzt sitzt Katja an ihrer Stelle. Jung, blond und mindestens einen Meter achzig groß.
Ich darf nicht vergessen, sie morgen früh anzurufen, fällt mir ein.
Die kleine Chinesin hat mir inzwischen mein Hauptgericht gebracht. Es ist scharf. Schärfer als ich gedacht hätte. Ich mache eine Pause, wische mir mit der Serviette den Mund ab und trinke einen Schluck. Susanne hat nur ihren halben Teller geleert und starrt wie gebannt auf das Aquarium, das neben unserem Tisch etwas grün und trübe vor sich hinblubbert.
Als die Kellnerin kommt, bestelle ich noch ein Wasser. Inzwischen ist auch mein Schwiegervater fertig und beginnt ein Gespräch mit Raphael. Was er denn in den Ferien machen wird. Oder ob er vielleicht sein Vorhaben wegen seinem Vater aufgeschoben hätte.
Raphael zuckt mit den Schultern und mein Schwiegervater schaut Susi an.
Ich eile meinen Kindern zu Hilfe. „Wie lange wollt ihr denn eigentlich bleiben?“, frage ich Joachim.
***
(Heike)
Wie in einem Taubenschlag, denkt Heike. Thomas ist gerade erst weg, als es klingelt und ihre Mutter zur Tür eilt.
Veronika tritt in den Flur, zwei kleine Koffer in der Hand. Heike spürt Erleichterung, als sie ihre Schwägerin sieht. Sie will aufstehen, doch plötzlich kommt ihr etwas in den Sinn. Hat sie Justine dabei? Heike sinkt zurück auf die Couch und horcht in den Flur.
Als ihre Mutter nach dem Jungen fragt und Veronika sagt, dass sie ihn bei ihrem Vater gelassen hat, ist Heike erleichtert. Es wäre ihr unangenehm gewesen, ihren Neffen hier zu haben.
Sie geht hinüber, um ihre Schwägerin flüchtig zu begrüßen.
Veronika trägt einen dunkelblauen Rock und Heike sieht kurz an sich selbst herunter. Seit Tagen hat sie das Gleiche an.
Sie will hoch. Hoch in ihr Zimmer.
Marcus steht neben seiner Tante und freut sich, dass sie gekommen ist. Wie einen Feind blickt Heike ihn an. Ein Feind im eigenen Haus. Sein Lachen, seine Grübchen um den Mund, seine Sommersprossen und die wilden Haare, all das, was sie früher so an ihren Söhnen geliebt hat. Heike kann es nicht mehr sehen. Es schmerzt sie, wenn sie ihre Söhne bei sich hat.
Sie weiß, dass ihr Vater ihre hasserfüllten Blicke spürt.
Dass er seine Enkel wegbringt, wenn sie in ihre Nähe kommen.
Langsam steigt sie Stufe für Stufe nach oben. Sie sieht, wie Veronika und ihre Mutter im Flur reden und ihr nachschauen. Stufe für Stufe in die Einsamkeit.
In die wohltuende Einsamkeit.
***
(Kristel)
Morgen muss Ludwig wieder arbeiten gehen. Kristel fühlt sich so einsam. Sie kann nicht weinen, auch wenn ihr danach zu Mute ist. Nicht nur, dass Ludwig den ganzen Tag nicht da ist. Er will auch das Auto mitnehmen, damit er nach der Arbeit bei Heike vorbeifahren kann.
Am liebsten würde sie das selbst erledigen. Aber die Kinder. Sie kann sie nicht schon wieder mit zu Heike nehmen. Jedes Mal sind sie ganz durcheinander hinterher. Jedes Mal fragt Marcus, wo der Papa ist und wann sie wieder bei der Mama bleiben können. Erst haben sie ihn auf Montag vertröstet und jetzt auf das Wochenende.
Nicht nur Marcus, auch Kristel kann die Zeit kaum aushalten.
Es ist schlimm für sie.
Am Anfang haben sie gedacht, sie müssten dem Jungen die Wahrheit
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