Zwei Worte bis zu Dir - Die Wildrosen-Insel 1: Ein Serienroman (German Edition)
was sie beide wussten. »Ich sag‘s dir nur ungern, Vanessa, aber ich habe die Befürchtung, dass er, solange du ihn dir nicht endlich aus dem Kopf schlägst, niemals wirklich weg sein wird, egal ob er sich auf dieser Insel befindet oder auf der anderen Seite der Erde. Du musst dich entscheiden. Für ein Leben ohne ihn oder mit ihm. Wichtig ist nur, dass du es bald tust, denn lange wirst du dieses Hin und Her nicht mehr durchhalten.«
Vanessa erwiderte ihren Blick. Sie wusste, dass ihre Mutter recht hatte, trotzdem war sie nicht in der Lage, ihr zuzustimmen.
»Gibt‘s zu dem Grießpudding auch Kirschen?«, fragte sie schließlich mit dem Ansatz eines Lächelns.
»Diesmal nur welche aus dem Glas«, antwortete Elisa.
»Aus dem Glas«, wiederholte Vanessa leise, während sie darüber nachdachte, wie gern Lenny Kirschen aß.
* * *
Das Haus lag westlich einer Ferienhaussiedlung neben einer L-förmigen Pferdekoppel, die den Nachbarn von Katie gehörte. Vanessa erinnerte sich daran, dass sie früher gern am Zaun stehen geblieben war, um die Pferde zu streicheln. Heute jedoch nahm sie sie nur im Augenwinkel wahr. Sie hatte eine Mission zu erfüllen, den längst überfälligen Schritt, den sie aus unzähligen (und heute nicht mehr nachvollziehbaren) Gründen seit zwei Jahren vermieden hatte.
Sie stellte ihr Fahrrad gegen den Geräteschuppen, ging zielstrebig die Auffahrt neben dem Haus entlang und öffnete das eiserne Gartentor in einer Selbstverständlichkeit, als würde man sie bereits erwarten. Schließlich steuerte sie direkt auf den Gästebungalow zu, der am Rande einer Obstwiese neben einem Apfelbaum stand.
Sie berührte den Klingelknopf mehrmals hintereinander, selbst dann noch, als sie durch das milchige Glas der Tür einen Schatten näher kommen sah.
»Was zum …«, setzte er an, als er die Tür öffnete, verstummte aber im nächsten Moment.
»Ness.« Seine Überraschung war unverkennbar.
»Was fällt dir ein?« Sie stürmte an ihm vorbei ins Haus, ohne eine Reaktion abzuwarten. »Bildest du dir wirklich ein, dass du deinen Job hinschmeißen und hier so einfach auftauchen kannst, als wäre es der nächste logische Schritt, dass ich wieder auf dich hereinfalle? Wie stellst du dir das vor? Dass ich erfahre, dass du für mich alles hingeschmissen hast und ich ein schlechtes Gewissen bekomme? Dass ich mich wieder auf dich einlasse, weil ich mich für deine Entscheidung verantwortlich fühle? Dass ich alles einfach so vergesse? Jedes schmutzige Detail?«
»Nein, Ness«, stammelte er. »Du verstehst das vollkommen falsch. Und wie kommst du überhaupt darauf, dass ich wegen dir meinen Job hingeschmissen hätte?«
»Ich weiß es von Katie.«
»Hat sie etwa behauptet, dass du der Grund warst?«
»Das musste sie gar nicht, ihre Andeutungen waren vollkommen ausreichend.«
Vanessa blieb in der Türschwelle zur Küche stehen. Lenny stand einen Meter vor ihr im Foyer, in der Hand eine Tasse Kaffee, die er seit dem Türklingeln nicht abgesetzt hatte.
»Ness«, begann er erneut.
»Würdest du bitte aufhören, mich ständig Ness zu nennen? Du hast das Recht verspielt, mich so zu nennen, spätestens seit dem Moment, als ich dich zwischen den solariumgebräunten Schenkeln dieser Schlampe gefunden habe.«
»Würdest du bitte aufhören, so theatralisch zu sein? Du hast uns nicht gefunden, ich habe dir davon erzählt.«
»Ja, weil dir gar keine andere Wahl blieb, als ich ungeplant heimgekommen war. Weil sie sonst das Haus nicht hätte verlassen können, ohne dass ich Wind davon bekommen hätte. Die Laken waren zerwühlt, dein Hemd war offen.«
Von einem Augenblick auf den anderen war alles wieder da. Die fremden Schuhe und Klamotten, die auf dem Flurboden verstreut lagen und eine Fährte bis zur Schlafzimmertür bildeten. Eine Wolke billigen Parfüms. Feuerrote Locken auf nackten Schultern. Die Sekunde, in der ihr ganzes Leben wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel.
Vanessa hielt sich die Hand vor den Mund und senkte den Blick. Tränen verschleierten ihre Sicht. Von allen Dingen, die sie sich geschworen hatte, war eines stets an oberster Stelle gestanden: das Vorhaben, niemals wieder vor ihm zu weinen. Da war sie hin, die Selbstbeherrschung, und mit ihr der Plan, ihre mühsam erschaffene Gleichgültigkeit aufrechtzuerhalten.
Er kam näher, um sie zu trösten, hielt jedoch inne, bevor seine Hand ihre Schulter berührte. Er wusste, dass sie es nicht zulassen würde.
»Es war falsch«, sagte er stattdessen.
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