Zweibeiner sehen dich an
dann, seinen Arm zurückziehend: „Einfach so? Ohne zu fragen, um was es geht? – Er scheint ein völlig eiskalter Bursche zu sein, was Pullach? – Aber gehen wir etwas langsamer vor. Was hast du gemacht, bevor du das Ding im Kaufhof gedreht hast?“
„Nur Büroarbeit, Herr Horst.“
„Büroarbeit? Wenn das stimmt, bist du wohl noch ein Amateur, Martin. Fünfhundert Mark sind vielleicht zuviel für einen Amateur beim ersten Job.“ Er spitzte die Lippen. „Vielleicht … Na, warten wir erst einmal ab.“ Dann grinste er und schüttelte die Hand des jungen Mannes. „Von mir aus ist es abgemacht, meine Hand drauf!“
Die Klappe des Getränkeaufzugs sprang auf. Vor ihnen standen plötzlich drei kleine Gläser mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit, die Horst herumreichte. Pullach trank sein Glas in einem Zug aus, der junge Mann nippte vorsichtig daran und fand den Geschmack unnatürlich scharf. Seine Augen begannen zu tränen. „Da ist Trudl ja“, sagte Pullach plötzlich. „Ich muß jetzt abhauen, Horst. Wenn es dir nichts ausmacht, mir die Kleinigkeit zu geben, die wir ausgemacht haben …“ Sie flüsterten einen Moment lang zusammen, irgend etwas ging von Horsts in Pullachs Hand über; dann verschwand er, und eine schlanke junge Frau mit braunem Haar kam herein. Der junge Mann nippte wieder an seinem Glas. Nun kam ihm der Geschmack nicht mehr so übel vor. Die Flüssigkeit erzeugte ein warmes Gefühl in seinem Magen. „Das ist unser Kletterer, Trudl“, sagte Horst fröhlich. „Martin – das ist Trudl.“
„Sehr angenehm, Fräulein“, sagte der junge Mann höflich. Sie musterte ihn mit unbewegtem Gesicht und sah dann Horst an.
„Bist du sicher, daß er der Richtige ist? – Pullach würde für zehn Mark seine eigene Großmutter verscherbeln!“
„Keine Sorge, er ist der Richtige.“ Horst sah etwas irritiert aus. „Wo wohnst du, Martin?“ fragte er dann.
„Bitte?“
„Spiel ‚nicht den Narren. Wo du wohnst, habe ich gefragt!“
„Oh“, machte der junge Mann und zögerte. Aus irgendeinem Grund weigerte sich sein Innerstes, Horst von seinem Dachzimmer im Warenhaus zu berichten. „Ich habe ein Zimmer“, sagte er dann, „aber ich konnte die Miete nicht mehr bezahlen.“ Der Mann und das Mädchen wechselten einen Blick. „Dann muß er eben mit uns kommen“, entschied Horst. „Er kann ja bei dir wohnen.“
Das Mädchen zuckte die Schultern, dann standen sie auf. Der junge Mann leerte sein Glas, weil er den Inhalt nicht verkommen lassen wollte. Als sie den Platz in Richtung auf das Schild ‚U-Bahn’ überquerten, empfand er das milde Morgenlicht als angenehm, und seine beiden neuen Freunde erweckten sein zunehmendes Interesse.
Sie verließen die U-Bahn-Station und gingen eine schmale Straße hinunter, vorbei an Häuserreihen, deren Fronten aus leuchtenden Quadern in unterschiedlichen Farben bestanden: orange, schwarz, gelb, elfenbein und hellblau. Der junge Mann schüttelte nervös den Kopf. Die Fahrt in der Untergrundbahn hatte nicht eben dazu beigetragen, ihn ruhiger zu machen, denn er hatte sich an einer Plastikschlaufe festhalten müssen, und die anderen Passagiere hatten sie so aneinandergedrückt, daß sie kaum Luft zu atmen hatten.
Auf der Straße war alles viel schöner. Die Luft war klar und rein, die hellen Farben erfreuten ihn. Er wäre gern einmal stehengeblieben um die Umgebung näher in Augenschein zu nehmen, aber Horst und das Mädchen hielten ihn zwischen sich und eilten weiter. Als sie die Straße überquerten, blieb Horst plötzlich stehen. „Sieh dir das an“, sagte er ärgerlich. Der junge Mann schaute sich um. Oberhalb der Kreuzung stand eine gewaltige Maschine; ein Kran, genau vor der Vorderfront eines Gebäudes. Er hatte ein Teil der Gebäudewand herausgelöst und der junge Mann konnte in das Innere der Wohnung sehen, die vollgepackt war mit Möbeln, Teppichen und Bildern. Rufe erklangen von oben, und der Kranführer lehnte sich vor und hantierte an seinen Geräten. Die Maschine rollte langsam auf ihren Gummireifen von dem Gebäude weg. Drei Männer in weißen Kitteln erschienen in der Öffnung.
„Kommt weiter“, sagte Horst. Während sie ihren unterbrochenen Weg fortsetzten, flüsterte er: „Sie sollen doch nicht in unmittelbarer Nähe deiner Wohnung arbeiten. Sie wissen doch verdammt genau, daß du in dieser Straße wohnst.“
„Wer war es? Stamms Bande?“ fragte Trudl und sah Horst über die Schulter des jungen Mannes hinweg an. „Ja. –
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