Zweibeiner sehen dich an
Dieser verdammte Idiot!“
„Warum sagst du ihm das nicht?“ Horst gab einen ärgerlichen Ton von sich. „Das hat ja doch keinen Zweck … dieser Narr …“
Der Mann in der Kabine des Krans sah sie an, als sie vorübergingen und schob einen Zigarrenstummel von der einen Seite seines Mundes in die andere. Er sagte nichts. Der Kran schwang wieder in Richtung Hauswand und brachte das Mauerstück wieder an seinen Platz zurück. Der junge Mann wollte stehenbleiben und zusehen, aber Horst schüttelte rauh seinen Arm. „Weiter, weiter!“
Sie durchquerten einen Toreingang, der neben einem Tabakladen war. Am Ende einer düsteren Halle führte eine Treppe hinunter. Trudl schloß die knarren de Tür auf und schaltete das Licht an, als sie eintraten. Horst warf sich auf eine blaue Couch, auf der eine gro ße Stoffpuppe mit schlaffen Gliedern lag. Das Zimmer war klein, aber hübsch eingerichtet. Auf der Couch und dem Fußboden lagen runde Kissen und die Lam pen besaßen kleine rosa Schirme. „Setz’ dich hin“, sag te Horst. „Trudl, bring’ uns ein Bier.“ Das Mädchen warf seine Handtasche auf einen Stuhl und eilte in eine Nische, in der eine winzige Kochstelle installiert war. Wenn sie nicht gebraucht wurde, konnte man sie hinter einer mit gelben Gänseblümchen bemalten, faltbaren Metallwand verschwinden lassen.
„Du machst dir zuviel Gedanken“, sagte sie zu Horst, ohne sich umzuwenden. „Gedanken, Gedanken!“ äffte Horst nach. „Irgend jemand muß sich schließlich Gedanken machen! Wenn ich es nicht täte, säßt ihr alle längst im Knast.“ Er zupfte irritiert an seinem unordentlichen Bart. „Ihr habt alle gut reden.“ Der junge Mann setzte sich behutsam auf eine Ecke des Clubsessels und musterte die Puppe. Sie hatte Haare aus gelbem Garn und ihr Lächeln war aufgemalt. Bekleidet war sie mit einem Harlekinkostüm von grüner und roter Bonbonfarbe. Ihre schwarzen Augen entpuppten sich als aufgenähte Knöpfe. Auf ihren Wangen befanden sich rote Flecken und ihr Lächeln ließ sie weich und freundlich erscheinen. Der junge Mann verspürte das Verlangen, sie aufzuheben und an sich zu pressen, aber er war sich nicht sicher, ob das als Unhöflichkeit gewertet würde.
„Das Spiel ist ausgespielt“, sagte Horst sinnierend und beugte sich vor. „Stamm sollte es eigentlich wissen. Es ist direkt ein Wunder, daß sie ihn noch nicht geschnappt haben.“ Trudl erschien mit Krügen auf einem Tablett, das sie vor Horst auf einen kleinen Tisch ablegte. „Hier – trink, und reg’ dich nicht so auf.“ Sie legte einen Arm auf die Sessellehne, nahm eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Sie hielt dem Blick des jungen Mannes mit einem zweifelnden Ausdruck stand. „Sie sind eben nicht alle so clever wie du, Horst“, sagte sie.
„Naja, das stimmt“, sagte Horst geschmeichelt, ergriff seinen Krug und trank in langen Zügen. Der junge Mann kostete das Getränk ebenfalls, aber es war kalt und bitter. Auf seiner Oberlippe war plötzlich Schaum; er stellte den Krug wieder hin.
„Kommen wir zum Geschäft“, begann Horst und lehnte sich zurück. „Gib mir den Umschlag, Trudl.“ Das Mädchen langte in seine Handtasche, entnahm ihr einen Umschlag und gab ihn Horst. Dieser breitete einige Papiere auf dem Tisch aus, wählte eines davon aus und warf es quer über den Tisch dem jungen Mann zu.
„Kannst du dort hinaufklettern?“ fragte er. Der jun ge Mann nahm das quadratische Stück Papier an sich, oh ne zu verstehen, was man von ihm wollte. Es war die Fo tografie eines grauen Steinhauses, drei Stockwerke hoch, mit niedrigem Dach und einigen Schornsteinen. Der Eingang lag unter einer niedrigen portecochere. Der oberste Stock besaß einen mit Ornamenten verzierten Elfenbeinbalkon mit französischen Türen dahinter.
„Na? Kannst du das?“
„Auf das Haus klettern?“ fragte der junge Mann zweifelnd.
„Auf den Balkon“, erwiderte Horst und beugte sich vor, um mit seinem schmutzigen Zeigefinger auf das Foto zu deuten.
„Schaffst du das?“ Der junge Mann betrachtete das Bild ein zweites Mal. Er hatte noch nie versucht, an einem Haus hochzuklettern, aber es schien nicht besonders schwer zu sein.
„Ich glaube doch, daß ich das kann, Herr Horst.“
„In Ordnung. Schau dir mal den Lageplan an“, entgegnete Horst, ohne seine Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen, und öffnete den Umschlag, zog die anderen Papiere heraus und breitete sie auf dem Tisch aus. Eines der Papiere war mit einer
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