Zweibeiner sehen dich an
hinter sich.
Emma verschwand wieder in ihrem Zimmer. Als der Zweifüßler sie ansah, zuckten ihre Hände in der gewohnten Geste zu ihrem Knopf. Aber sie hielt inne, als sie sah, daß er nach dem kleinen Paket auf dem Schreibtisch langte. „Ist das Seife?“ fragte sie schüchtern. „Ich hörte ihn sagen, daß das Seife sei.“
Der Zweifüßler nahm das kleine, in Papier gewickelte Päckchen an sich. Es hatte einen schwachen, aromatischen Geruch, der irgendwie ungewohnt war. „Ja, das ist Seife“, erwiderte er geistesabwesend. „Ich soll mich säubern, weil man mich interviewen will.“
„Ich hatte auch mal Seife“, sagte Emma und kam etwas näher. „Es ist schon lange her, sie haben gesagt, es sei nicht gut für mich.“
„Das kann schon sein“, murmelte der Zweifüßler und zog mit seinem Finger an der Verpackung. Sie öffnete sich, die Seife flutschte in seine Hände und fiel auf den Boden, genau vor Emmas Füße. Sie bückte sich und hob sie auf. Der Geruch war jetzt noch stärker geworden.
„Gib sie mir wieder“, sagte der Zweifüßler ungeduldig und kam näher. Er stand genau auf der Kreidelinie, die seine Zimmerhälfte von der ihren trennte. Aber Emma nahm diesmal keine Notiz davon; sie hielt die Seife in den Händen und roch glücklich daran. Ihr Mund war halb geöffnet und ihre Augen glänzten. Der Zweifüßler ging einen Schritt zur Seite. Emma antwortete nicht. Erschreckt blieb er vor ihr stehen und starrte sie an. „Emma“, sprach er sie an.
„Ja“, erwiderte sie verträumt.
„Was ist los mit dir, Emma?“
„Nichts ist los“, antwortete sie mit einem verzückten Lächeln.
„Gib mir bitte die Seife zurück.“
„Gute Seife“, nickte sie. Aber sie machte keine Anstalten, sie ihm zurückzugeben. Sie schien überhaupt nicht zu merken, daß sie die Seife fest an ihr Gesicht preßte. Als der Zweifüßler die Linie überquerte, um ihr das Seifestück wegzunehmen, zögerte sie. Es kam ihm plötzlich seltsam vor, daß Rudi ihm die Seife überhaupt gegeben hatte. Er hatte, seit er eingesperrt war, überhaupt keine Seife mehr zu Gesicht bekommen – und sie auch bisher noch nicht vermißt. Würde Seife für diesen mit fedrigen Stacheln übersäten Körper gut sein? Wenn nicht, warum hatte man dann …? Er schüttelte irritiert den Kopf und ging ein Stück zurück, um dem faszinierenden Duft zu entgehen. Es war schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, solange man den Geruch der Seife in der Nase hatte.
„Wieso ist die Seife nicht gut für dich, Emma?“ fragte er. „Warum haben sie das gesagt ?“
„Nicht gut für mich“, stimmte sie ihm zu. Ihre Wor te klangen wie leise Musik. „Seife schlecht für Emma! Es gibt keine Seife mehr! Wunderbare Seife.“
Der Zweifüßler hörte, wie sich die Türe öffnete, während er Emma anstarrte. Sein betäubtes Hirn begann wieder zu arbeiten. „Hör’ zu, Emma“, flüsterte er, „nimm die Seife und geh’ in dein Zimmer. Geh’ in dein Zimmer und komm’ nicht raus, bevor ich es dir sage.“
„Emma, komm’ nicht heraus.“ Mit unwahrscheinlicher Langsamkeit bewegte sie sich zur Tür, als Rudi hereinkam. Diesmal war er ohne Karren. „Bist du fertig?“ fragte er, einen Seitenblick auf Emmas verschwindende Gestalt werfend. Der Zweifüßler wandte ihm das Gesicht zu und bemühte sich, genauso geistesabwesend und verträumt auszusehen wie Emma. „Fertig“, sagte er.
„Du weißt, wer du bist?“
„Mein Name ist Naum …“
„Aber nicht doch“, unterbrach Rudi ihn. „Stell dich nicht so dumm an. Dein Name ist Fritz. Sag’ es mir nach. Mein Name ist Fritz.“
„Name ist Fritz“, wiederholte der Zweifüßler zustimmend und rollte mit den Augen. Er tänzelte hin und her. Sein Kopf war voll mit ärgerlichen Vermutungen, aber er verstellte seine Stimme, damit sie verschwommen und schwerfällig klang.
„Dann ist ja alles in Ordnung“, meinte Rudi befriedigt. „Wieviel ist zwei und zwei, Fritz?“
Er tat, als müsse er über die Frage lange nachdenken. „Vier?“ fragte er dann zögernd.
„Guter Junge. – Und wieviel ist vier und vier und vier und vier?“
Der Zweifüßler blickte ihn schwerfällig an. „Vier und vier“, sagte er dann und Rudi lächelte. „Alles klar. Komm jetzt mit. Wir gehen jetzt hinauf und treffen dort zwei nette Herren. Wenn du dich gut beträgst – das verspreche ich dir – wird es etwas sehr Gutes für dich geben.“
Er nahm den Arm des Zweifüßlers und sie benutzten den Fahrstuhl. Als sie
Weitere Kostenlose Bücher