Zweifel
Wenigstens schlug er so zwei Fliegen mit einer Klappe: Er arbeitete und lenkte sich zugleich von den Gedanken an Bo ab.
Er weigerte sich, auf die nagende Stimme in seinem Hinterkopf zu hören, die ihn daran erinnerte, dass er seit seiner ersten Begegnung mit Bo praktisch ununterbrochen an ihn dachte.
Als sich die Tür zwanzig Minuten später mit einem leisen Quietschen öffnete, stoppte Sam das Video, das er gerade sichtete, und sah hoffnungsvoll auf. Als er jedoch Dean im Eingang stehen sah, sackten seine Schultern enttäuscht wieder nach unten.
»Morgen, Sam.« Dean schlenderte zu ihm herüber und setzte sich auf den Stuhl neben Sams, so dass sich ihre Knie berührten. »Na, was machst du denn für ein Gesicht?«
Das Letzte, was Sam gerade wollte, war eine Ausbreitung seiner Beziehungsprobleme vor Dean. Er zwang ein Lächeln auf sein Gesicht.
»Gar keins, bin nur ein bisschen müde.«
Deans Augenbraue zog sich nach oben. »Ja, natürlich. Macht dein nicht geouteter Freund dir Probleme?«
Das kam unangenehm nah an die Wahrheit heran. Sam fühlte, wie sich seine Wangen röteten, ohne dass er es verhindern konnte. »Können wir bitte nicht darüber reden?«
Dean hob seine Hände in einer beschwichtigenden Geste und wandte seine Aufmerksamkeit dem Bildschirm auf dem Schreibtisch zu.
»Hast du schon mit den Aufnahmen vom Samstag angefangen?«
»Ja«, sagte Sam, erleichtert über den Themenwechsel. »Andre und ich haben gestern Nummer Eins und Sieben gesichtet.«
Dean sah Sam mit hochgezogenen Augenbrauen an, während er seinen eigenen Computer startete. »Büroarbeit am Sonntag war aber nicht Teil der Jobbeschreibung.«
»Keine Sorge, ist kein Muss.«
»Gut. Ich habe keine große Lust, samstags zu Hause bleiben zu müssen, weil ich am Sonntag hier erwartet werde.«
Sam lachte. »Ich war gestern nur ein bisschen rastlos. Vermutlich ging es Andre genauso.«
»Rastlos? Wieso?«
Die Frage klang zwar vollkommen unverfänglich, aber Sam roch den Braten. Er schüttelte den Kopf.
»Dean, danke, dass du dir Sorgen machst, aber ich will nicht darüber... über ihn reden.«
Ein kurzer, mitfühlender Blick von Dean reichte aus, um Sam zu sagen, dass seine Stimme das Ausmaß seiner Sehnsucht verraten hatte. Er gab ein unwilliges Geräusch von sich, stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und vergrub sein Gesicht in den Händen.
»Scheiße.«
Der Stuhl knarrte, als Dean näher zu ihm rollte und Sam spürte eine warme Hand, die sich auf seine Schulter legte.
»Tut mir leid, Sam. Man weiß zwar, dass sie einen irgendwann sitzen lassen, aber es tut immer weh, wenn Gefühle im Spiel sind.«
Sam wollte wütend werden, weil Dean glaubte, er und Bo hätten sich getrennt. Aber er konnte es nicht. Dean wusste schließlich gar nichts über sie.
Er seufzte und rieb sich den Nacken, der sich schmerzhaft verspannt hatte. »Ja, es tut weh. Können wir es dabei belassen?«
Zu seiner Erleichterung widersprach Dean nicht. »Klar. Wenn du reden willst, weißt du ja, wo du mich findest.« Er klopfte Sam auf die Schulter, rollte seinen Stuhl zum anderen Schreibtisch hinüber und widmete sich dem Computer.
Sam wandte sich mit einem Gefühl tiefer Erleichterung wieder seinem Video zu. »Was machst du eigentlich so früh hier?«
»Ich wollte nur eine Weile mit der Hardware spielen, bevor David mich in die Bibliothek schleift.« Deans Finger flogen über die Tastatur. Aus dem Augenwinkel sah Sam, wie sich auf seinem Bildschirm ein schwarz-grünes Bild mit den Worten ‚ Kamera 3‘ öffnete. Dean strahlte wie ein Kind, das gerade ein neues Spielzeug bekommen hatte. »Oh Mann, wie cool! Euer Computernetzwerk ist unglaublich.«
»Danke.« Sam grinste Dean breit an. »Andre und David haben das meiste davon eingerichtet, bevor sie mich eingestellt haben. Aber ich hab' Bo dazu gebracht, den Laptop und die Digitalvideo-Kameras anzuschaffen.«
»Sehr schlau«, sagte Dean nickend. »Ich weiß, die meisten professionellen Paranormalforscher benutzen gerne konventionelle Videobänder, aber diese Vorgehensweise ist deutlich effektiver. Man bekommt digitale Dateien zum Arbeiten, hat aber zugleich die Bänder als relativ fälschungssicheres Backup.«
»Genau das hab ich Bo auch gesagt.« Sam schluckte und versuchte das Gewicht, dass auf einmal auf seinem Brustkorb lastete, zu vertreiben. Die Erinnerung an jenen Nachmittag, das Zittern von Bos Körper, als er in Sams Hand gekommen war, hatte sich so lebendig in seine Erinnerung gebrannt, als
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