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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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gewesen, und er hatte ihr Geschichten von Kokopelli, dem Flötenspieler, erzählt, dessen beinahe einen Meter große Figur neben zwei anderen in den Fels geritzt war. Kokopelli hatte einen langen Penis, er war der Gott der Fruchtbarkeit. Als Kaye noch kleiner gewesen war, hatte sie sich vor dem buckligen Mann mit der enormen Erektion gefürchtet, und Will hatte sie damit aufgezogen. Damals schien es ihr, als hätte er vor gar nichts Angst. In seiner Nähe hatte sie sich immer sicher gefühlt.
    »Von Felszeichnungen hast du mir gar nichts erzählt«, sagte Aquilar kauend.
    Wills Miene verfinsterte sich zusehends.
    Mist , dachte Kaye. Ich habe das Falsche gesagt .
    »Ist auch nicht so wichtig«, brummte Will und schob sich einen großen Bissen Fladenbrot in den Mund.

9. Kapitel

    S am Roanhorse saß in seiner kleinen Werkstatt und arbeitete. Um ihn herum standen viele Gussformen aus Sandstein, kleine Schmelztiegel aus Ton und verschiedene Werkzeuge. Silberschmieden war eine alte Kunst, aber heute benutzten viele Künstler moderne Schweißgeräte sowie elektrische Polier- und Mattiergeräte. Sam arbeitete noch auf hergebrachte Weise. Das dauerte länger, aber er war der Meinung, dass die Dinge nun mal ihre Zeit brauchten, um gut zu werden.
    Er stellte den Brenner ab, legte das Lötrohr beiseite und nahm die Schutzbrille von der Nase. Mit dieser Brille konnte er noch weniger sehen als ohnehin schon. Seine schlechten Augen machten ihm immer mehr zu schaffen. Die Konturen der Gegenstände waberten in einem milchigen Nebel und manchmal sah er Dinge doppelt. Es kostete ihn große Mühe, genau zu sein.
    Sacht klopfte er mit einem leichten Hammer und einem winzigen Metallstempel gleichmäßige Vertiefungen in das Silberblech. Wenn er fertig war, würden sie ein Muster ergeben.
    Der alte Navajo hielt das Stück dicht vor seine Augen. Dann rieb er mit dem Daumen über die Erhebungen. Diese feinen Arbeiten fielen ihm immer schwerer. Es waren nicht nur seine Augen, die von Woche zu Woche schlechter wurden. Auch die Finger sträubten sich mehr und mehr, in seinem Alter noch so eine komplizierte Arbeit zu tun. Die Knoten an seinen Gelenken verhärteten sich und machten schwierige Handgriffe zur Qual.
    Sam Roanhorse war alt. Er hatte zweiundachtzig heiße Reservatssommer erlebt, und wenn er Glück hatte, dann durfte er noch zwei, drei oder vielleicht fünf weitere erleben. Aber bald würde er nicht mehr arbeiten können. Dann würde er nur noch von der mageren Rente und den Lebensmittelkarten leben müssen, die er von der Regierung bekam. Langsam wurde er blind. Schon bald würde er auch keine Sandbilder mehr legen können, um anderen mit seinen Gesängen zu helfen.
    Der Alte hörte das Quietschen der Türangel hinter sich und drehte sich um.
    »Guten Morgen, Granpa«, sagte Will ein wenig verlegen, weil er nicht geklopft hatte, was höflich gewesen wäre.
    »Guten Morgen, mein Sohn«, begrüßte ihn Sam. »Kannst du mir die Feile da drüben reichen?« Er zeigte mit der ganzen Hand auf ein schiefes Regal, in dem seine Werkzeuge lagen. Verschiedene Hämmer und Feilen und Punzen, die Stempel mit den unterschiedlichen Mustern.
    Will brachte seinem Großvater die gewünschte Feile und sah zu, wie er feine Grate von einem halb fertigen Armreif entfernte. Auf der Arbeitsplatte vor ihm lagen Türkise in verschiedenen Größen und Farben. Die Navajos glauben, der Stein habe seine Farbe vom Himmel bekommen, und sprechen ihm magische Kräfte zu. Er soll Regen bringen und Reichtum für denjenigen, der ihn trägt.
    Will nahm einen der blassblauen Steine in die Hand. »Kannst du es mir beibringen, Granpa?«, fragte er, während er die feinen dunklen Adern im Stein aus der Nähe betrachtete. »Ich würde es gerne lernen.«
    Sam sah ihn fragend an. »Ist das ein echter Wunsch, mein Junge, oder willst du einem alten Mann bloß eine Freude bereiten?«
    »Es ist wirklich mein Wunsch, das zu lernen. Du weißt, ich habe dir und Dad schon als Kind gerne zugesehen.«
    Sam nickte in der Erinnerung. »Dann musst du dich beeilen, denn bald werde ich nichts mehr sehen können.«
    »Was sagst du da?«, fragte Will überrascht. Erschrocken legte er den Stein zurück.
    »Ich sehe verschwommen und fürchte, ich werde blind. Aber wenn du wirklich willst, dann werde ich es dir noch beibringen. Vielleicht hast du Talent. Dein Vater war auch ein guter Silberklopfer. Die Touristen waren ganz verrückt nach seinen Arbeiten.«
    »Ich will es lernen, Granpa. Ich will

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