Zweiherz
aufgelauert und sie fürchterlich erschreckt. Sie war zusammengezuckt, hatte wie zur Salzsäule erstarrt dagestanden und ihn mit ihren großen blauen Augen verwundert angesehen. »Warum hast du das gemacht?«, hatte sie ihn schließlich gefragt, und er war ihr die Antwort schuldig geblieben. Danach hatte er nicht mehr versucht, sie loszuwerden.
Vielleicht war es jetzt ebenso zwecklos wie damals.
»Es gibt noch einen anderen, besser zugänglichen Weg in den Canyon«, beantwortete Will endlich Aquilars Frage. »Ungefähr eine Stunde Fußmarsch von hier in Richtung Westen gibt es eine Stelle, die breit genug ist, um sie mit einem Fahrzeug zu passieren. Früher sind manchmal irgendwelche Kids in den Canyon gefahren und haben Partys veranstaltet. Mein Vater musste dann jedes Mal die leeren Bierflaschen und Coladosen einsammeln. Die Zufahrt befindet sich auf Roanhorse Land und deshalb hat er sie vor Jahren mit einem Drahtzaun abgesperrt und ein »Betreten verboten«-Schild drangehängt. Seitdem hat sich niemand mehr in den Canyon verirrt. Aber ich weiß natürlich nicht, was in den vergangenen fünf Jahren hier passiert ist. Mein Großvater ist zu alt, um regelmäßig nach dem Rechten zu sehen.«
Will erzählte Aquilar nichts von den uralten Ritzzeichnungen im Fels, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des Canyons in einem Seitenarm befanden. Sein Vater hatte sie ihm gezeigt, als er noch ein kleiner Junge war. Und irgendwann hatte er sie Kaye gezeigt. Die Zeichnungen waren ihrer beider Geheimnis und dabei sollte es auch bleiben.
»Na, das kannst du ja jetzt übernehmen«, bemerkte Aquilar.
Will nickte und dachte: Ich brauche unbedingt ein Pferd.
Endlich entdeckte Will den Mesapfad und sie machten sich an den Aufstieg. Der schmale Weg war lange nicht mehr begangen worden und ab und zu mussten sie lose Gesteinsbrocken zur Seite räumen.
Von Großvater Sam hatte Will erfahren, dass sich irgendwo hier, in der Nähe der Nachtquelle, das Grab seines Vaters befand. Aber er war noch nicht so weit, es zu besuchen. Irgendwo in einem Winkel seines Inneren machte er seinen Vater noch immer für alles verantwortlich, was geschehen war.
Wills rotes T-Shirt hatte große dunkle Schweißflecken, und sein Atem ging schwer, als sie das Plateau erreichten. Aquilar schien der steile Aufstieg wenig ausgemacht zu haben.
Der Hogan stand mitten auf einer langen, von Grasbüscheln und Salbeisträuchern bewachsenen Ebene. Er war von Großvater Sams Vater noch in traditioneller Bauweise errichtet worden. Ein achteckiger Bau aus Steinen mit einem Kuppeldach aus Lehm, Zweigen und Strohgeflecht. Einige Meter neben dem Hogan befand sich die Schwitzhütte. Von ihr war nur noch der hüfthohe Kegel aus Brettern übrig, der eine kreisrunde Erdgrube abdeckte. In ihr konnten zwei Menschen sitzend Platz finden.
Als Will und Aquilar den Hogan näher inspizierten, stellte sich heraus, dass er in einem erbärmlichen Zustand war. Die Mauern standen noch, aber das Dach war teilweise eingesunken und der Lehm ins Innere gebröckelt. Seit drei Jahren hatte sich niemand mehr um den Hogan gekümmert. Seit drei Jahren waren Großvater Sams Beine zu alt, um aus dem Tal hier heraufzuklettern.
Aquilar hatte recht: Es war an der Zeit, dass Will die Dinge in die Hand nahm. Schwitzhütte und Hogan brauchten ein neues Lehmdach.
Aquilar half Will, die wenigen Einrichtungsgegenstände aus dem Hogan zu schaffen. Das Feldbett, eine alte Holztruhe und etwas Handwerkszeug und Geschirr, das auf Regalen gestanden hatte. Einiges davon war zu Bruch gegangen, der Rest lehmverkrustet. Überall lag Kot von Mäusen und anderen kleinen Nagern. Die Matratze schimmelte und war nicht mehr zu gebrauchen.
»Willst du das Dach reparieren?«, fragte Aquilar, als sie gemeinsam den kleinen gusseisernen Ofen nach draußen trugen.
»Na klar«, sagte Will, blickte jedoch zweifelnd auf das kaputte Gebäude. Alleine würde er es nicht schaffen.
»Wenn du Hilfe brauchst«, sagte Aquilar, »ich habe Zeit. Es sind Schulferien.«
»Und was wird aus deinen Schafen?«
»Mach dir mal keine Sorgen um meine Schafe, das werde ich schon regeln.«
Will klopfte sich den Staub von den Kleidern. »Wenn das so ist«, sagte er lächelnd, »dann schlage ich dein Angebot nicht aus. Ich kann wirklich Hilfe gebrauchen.«
Er lief zum Rand der Mesa und blickte in den Water Hole Canyon hinab, wo an den Felswänden Gesteinsbrocken lagen, manche so groß wie der Hogan. Das weißliche Grün der
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