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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Wozu sich also noch an alte Regeln halten?
    Er hockte sich auf das durchgesessene Sofa, das unter seinem Fenster auf der Veranda stand. Der Lichtschein, der aus dem Zimmer kam, fiel auf den Briefbogen, den er jetzt herzklopfend auseinanderfaltete. Auf dem Papier die vertraute Handschrift seines Vaters. John hatte ihm hin und wieder aus Deutschland geschrieben, aber es waren meist Belanglosigkeiten gewesen. Dieser Brief jedoch war voller Offenbarungen.
    Lieber Will,
    wenn du diesen Brief bekommst, werde ich nicht mehr leben. Du wirst wütend sein auf mich und ich kann es dir nicht verdenken.
    Vielleicht verstehst du mich besser, wenn ich dir ein paar Dinge erkläre. Zuerst aber will ich dir sagen, wie leid es mir tut, dass ich dich auf diese Schule schickte. Mir selbst redete ich ein, dass ich nur das Beste für dich wollte, dass dir einmal beide Welten offen stehen sollten. Die deines Volkes und die der Weißen.
    Aber das war nicht der einzige Grund für mein Handeln.
    Es tut mir leid, dass ich kein offenes Ohr für dich hatte, als du in den Ferien nach Hause ins Big Res kamst und scheinbar jeder bemerkte, dass mit dir etwas nicht stimmte. Nur ich, dein Vater, nicht. Weil mein Herz von etwas anderem besetzt war.
    Du sollst wissen, dass Sophie Kingley die Frau war, die ich mehr als mein Leben geliebt habe, und dass sie der Grund war, weshalb ich mich zum Militärdienst gemeldet habe. Nur um weit von ihr fort zu sein, denn ich konnte sie nicht haben. Sophie ist eine gute Mutter und sie wollte ihre Familie nicht meinetwegen verlassen.
    Als meine Zeit in Deutschland um war und ich ins Res zurückkehrte, begriff ich, dass sich an meiner Liebe zu Sophie nichts geändert hatte. Und ich konnte es nicht länger ertragen, sie an der Seite des weißen Mannes zu sehen.
    Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe.
    Ich liebe dich,
    dein Vater
    Will ließ die Hand sinken, die den Brief hielt. Deshalb also, dachte er, war sein Vater den Berg hinaufgestiegen, hatte sich den Lauf seines Jagdgewehres in den Mund gesteckt und abgedrückt. Nur eine einzige, winzig kleine Bewegung und seine Qualen hatten ein Ende gefunden.
    Will schluckte und faltete das Papier zusammen. Er war wütend und enttäuscht, weil die Liebe seines Vaters nur für Sophie Kingley gereicht hatte und nicht auch noch für seinen Sohn, der ihn damals mehr gebraucht hätte als jeder andere. Und Will brauchte seinen Vater immer noch. Er vermisste ihn. Aber John Roanhorse war tot, daran war jetzt nichts mehr zu ändern.
    Mit trübem Blick starrte Will in die Dunkelheit und lauschte. Oben, vom Tafelberg, kam der Ruf eines Nachtgeschöpfes und verstummte wieder. Eine Maus raschelte im trockenen Laub unter den Brettern der Veranda. Inzwischen konnte er die verschiedenen Dunkelheiten wieder auseinanderhalten. Das tiefe, fast blaue Dunkel der Felsnischen. Die durchlässigen Schatten der Büsche und Bäume und das Silbergrau der Wiese.
    Plötzlich sah er, wie sich etwas bewegte. Der Schatten eines größeren Tieres löste sich aus der Finsternis am Felsen und schlich über die mondbeschienene Wiese. Es war ein Kojote. Zweiherz . Die Tiergestalt des Unruhestifters.
    »Verschwinde!«, zischte Will und zielte mit einem vertrockneten Maiskolben nach dem grauen Schatten.
    Es war nichts mehr zu hören oder zu sehen. Nur die Stille antwortete ihm. Er erschrak vor dem Geräusch seines Herzschlages und ein kalter Schauder rann über seinen Rücken.
    Will kletterte in sein Zimmer zurück und schloss das Fenster. Ihm war unheimlich zumute. War es nicht schlimm genug, was er in den vergangenen Jahren durchgemacht hatte? Nun rückten ihm auch noch die indianischen Geister auf den Leib. Er hatte höllischen Respekt vor ihnen. Sein Vater und Großvater Sam hatten ihm Geschichten von Hexen und Gestaltwandlern erzählt, die in der Dunkelheit unterwegs waren, auf der Jagd nach einem Opfer. Sie konnten den Menschen als Eulen, Kojoten oder in anderer Tierform erscheinen. War der Kojote, den er nun schon mehrere Male gesehen hatte, hinter ihm her?
    Will beschloss, seinen Großvater zu bitten, eine Heilungszeremonie für ihn abzuhalten. Vielleicht half das gegen den Ekel, den er gegen sich selbst empfand, weil er Dinge getan hatte, die beschämend waren. Weil er nicht gehandelt hatte, als er es hätte tun müssen. Er hätte stark sein und sich wehren müssen. Aber das hatte er nicht getan und dadurch auch andere leiden lassen.
    Diesen Gedanken wurde Will niemals los. Er fühlte sich

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