Zweiherz
darüber«, sagte Shelley und machte ein beleidigtes Gesicht. »Ich glaube, du hast plötzlich Geheimnisse vor mir.«
»Habe ich nicht«, erwiderte Kaye so unbefangen wie möglich. »Mein Onkel hat mir verboten, über diese Dinge zu sprechen - das ist alles.«
»Aber mir kannst du es doch erzählen, ich werde schweigen wie ein Grab.«
Kaye wusste, dass Shelley nichts für sich behalten konnte, wollte ihre Freundin aber nicht noch mehr verärgern. Deshalb erzählte sie ein wenig über den verschwundenen Kokopelli und dass die Diebe erneut zugeschlagen hatten.
Sie fühlte sich Shelley auf einmal sehr fern, weil sie mit ihr über all das, was sie pausenlos beschäftigte, nicht reden konnte. Nicht über die Bedeutung der Felsbilder für ihr Volk, nicht über den hervorgeholten Webstuhl (Shelley würde das »Back to the roots« nennen und darüber lächeln) und nicht über Zweiherz Kojote, der Will verfolgte. Sie hatte auch keine Lust, mit ihrer weißen Freundin über Will zu reden, aber das ließ sich nicht vermeiden, denn Shelley fragte als Nächstes: »Mal ganz abgesehen von deinen wilden kriminalistischen Abenteuern: Wie steht es eigentlich zwischen dir und Will? Seid ihr euch nähergekommen?«
»Ich habe ihm Ashkii überlassen«, erwiderte Kaye, »und er arbeitet jetzt auf der Ranch. So lange, bis er das Pferd abgezahlt hat.«
»Er arbeitet auf der Ranch?« Shelley wurde hellhörig. »Soweit ich weiß, ist dein Vater verreist, und du bist ganz allein im Haus.«
»Na und?«
»Wie: Na und? Erzähl mir nicht, dass ihr die Gelegenheit nicht genutzt habt.«
Kaye spürte, wie sie rot wurde, konnte es aber nicht verhindern. »Zwischen uns ist nichts«, sagte sie. »Wir sind nur gute Freunde.«
»Gute Freunde?« , rief Shelley. »Das glaube ich nicht.«
»Glaub doch, was du willst.«
»Na komm, nun sei nicht gleich wieder beleidigt. Ich weiß, dass du ihn anbetest. Und er ist ein gesunder junger Mann, der fünf Jahre lang nur von Mädchen träumen durfte. Irgendwie liegt es nahe, dass er seine Energien darauf verwendet, die Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Oder etwa nicht?«
Kaye blickte hinaus auf die Straße, weil sie Shelley nicht in die Augen sehen konnte. Auch wenn sie ihre Freundin war - Wills Geheimnis würde sie für sich behalten.
»Hat er etwa eine andere?«, platzte Shelley neugierig heraus.
Kaye schüttelte den Kopf. »Vielleicht braucht er einfach nur etwas Zeit, um sich wieder an das Leben im Reservat zu gewöhnen.«
»Oh ja, gewöhnungsbedürftig ist das Leben hier allerdings«, bemerkte Shelley.
In diesem Augenblick schellte die Türglocke und Pete Yatasi kam in den Laden. Kaye war so überrascht von seinem plötzlichen Auftauchen, dass ihr noch einmal die Röte ins Gesicht schoss. Shelley bemerkte es natürlich und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
Der junge Hopi ließ sich nichts anmerken. Er sagte, er würde ein bestimmtes Buch suchen, das er für sein Studium brauche. Und da er wusste, dass man in Kayes Laden auch bestellen konnte, hatte er sich auf den Weg nach Window Rock gemacht.
Kaye war klar, dass Pete nicht nur eines Buches wegen zu ihr in den Laden gekommen war, aber sie bestellte es für ihn am Computer. Pete kannte Shelley flüchtig, und eine Weile redeten beide über belanglose Dinge, bis Kaye mit der Bestellung fertig war.
»Ich muss jetzt wieder rüber«, sagte Shelley und verabschiedete sich, nicht ohne Kaye noch einmal einen wissenden Blick zugeworfen zu haben.
Kaye freute sich, Pete wiederzusehen. Daran, wie sehr sie sich freute, erkannte sie, dass sie ihn vermisst hatte. Sie hatte seine Späße vermisst und seine unkomplizierte Art, mit Dingen fertig zu werden, die für sie selbst wie riesige Probleme aussahen. Nach dem unerfreulichen Gespräch mit Shelley war Petes Besuch eine willkommene Abwechslung. Sie hatten sich beinahe ein halbes Jahr lang nicht gesehen und es gab viel zu erzählen.
Allerdings hatte Pete noch etwas in Ganadao zu erledigen und so lud Kaye ihn zum Abendessen auf die Ranch ein. Der junge Hopi nahm die Einladung an.
Nachdem Kaye ihren Laden diesmal etwas eher geschlossen hatte, fuhr sie noch zum Supermarkt und kaufte verschiedene Lebensmittel, die sie für das Abendessen brauchte: große Tomaten, weiße Zwiebeln, Knoblauch, Crème fraîche und fertige Maistortillas. Pete Yatasi liebte Suppen, und sie würde eine Tortilla-Suppe nach einem alten Aztekenrezept kochen, das sie in der umfangreichen Rezeptsammlung ihrer Mutter gefunden
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