Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
waren die Erde und der Fels trocken, sogar tief im Boden. Da wuchs fast nichts und trotzdem gab es Leben.
    Kaye liebte das Land, so wie es war. Mit seinen Schönheiten und seinen Unbilden. Ihr Entschluss, drüben in Santa Fe zu studieren, war ins Wanken geraten, seit Will wieder zurück im Reservat war. Die Aussicht, ihn vier Jahre lang nur an den Wochenenden sehen zu können und ihn dadurch vielleicht ganz zu verlieren, quälte sie. Doch wie die Dinge sich entwickelten, sah sie ihn auch jetzt schon kaum. Und das, obwohl er nur knapp zwei Meilen von ihr entfernt lebte.
    Aber vielleicht hatten sie und Will noch eine Chance. Dann könnte sie sich an der Diné University in Tsaile einschreiben, die gleich hier in der Nähe war. In diesem Fall müsste sie allerdings ihren Studienwunsch neu überdenken. Einen anerkannten Abschluss in Rechtswissenschaften würde sie in Tsaile nämlich nicht bekommen. Sie konnte dort höchstens Kurse belegen, den Abschluss müsste sie jedoch an einer großen Universität machen.
    Während Kaye einem schmalen Basaltkegel auswich, der mitten aus dem Flussbett ragte, dachte sie darüber nach, was sie eigentlich dazu bewogen hatte, Rechtswissenschaften studieren zu wollen. War es nicht allein der Wunsch, ihrem Vater zu beweisen, dass sie pfiffiger war als er? Sie, die als Mischling in einem Indianerreservat aufgewachsen war, würde Anwältin werden. Eine Anwältin, die etwas von Pferden und Schafen verstand, die sich hervorragend mit den Problemen aller Bevölkerungsgruppen im Big Res auskannte und die ihren Indianer heiraten würde, auch wenn er im Gefängnis gesessen hatte.
    Beinahe musste Kaye lachen.
    Wie hatte sie nur so töricht sein können? Schließlich liebte sie ihren Vater von ganzem Herzen. Er war immer für sie da, wenn sie ihn brauchte. Als sie noch klein war, hatte er sie auf seinen Armen herumgetragen und versucht, ihr die Welt zu erklären. Sein Wunsch, sie vor Schaden zu bewahren, hatte ihn manchmal etwas streng sein lassen, was immer wieder zu Konflikten mit ihrer Mutter geführt hatte. Aber er hatte sie auch oft zum Lachen gebracht.
    Doch obwohl Kaye ihrem Vater eng verbunden war, fühlte sie sich mehr ihrer indianischen Herkunft zugehörig. Sophies Erziehung kannte keine Strenge, nur Hinweise auf die Tabus in der Navajo-Welt und die möglichen Folgen, wenn man sie verletzte. Tabus gab es eine Menge. Du sollst nicht auf heißen Mais blasen, sonst verlierst du deine Zähne, bevor du alt bist. Blase auch nicht auf Maispollen, sonst bekommst du Lungenkrebs. Renne nicht herum, während du Mais isst, oder er wird dich ersticken. Fass nichts an, was mit einem Blitz in Berührung gekommen ist. Gehe niemals in einen Hogan, in dem jemand gestorben ist. Erzürne die Geister nicht, indem du dich gegen den Uhrzeigersinn bewegst ...
    Kaye kannte die meisten dieser Tabus und versuchte auch, sie einzuhalten, so wie Sophie es getan hatte. Dadurch fühlte sie sich ihrer Mutter nahe, auf die sie immer unheimlich stolz gewesen war. Sophie Kingley galt lange Zeit als eine der besten Teppichweberinnen der Region. Ihre blaugrauen Muster waren besonders begehrt gewesen. Außerdem war sie jahrelang Sprecherin von Diné C.A.R.E. gewesen, einer Gruppe traditionell eingestellter, umweltbewusster Navajos, die der Stammesregierung auf die Finger sah, wenn es um die Ausbeutung der Naturrohstoffe im Reservat ging.
    Vor zwei Jahren, als der tödliche Unfall passierte, war Sophie von einer Versammlung auf dem Nachhauseweg gewesen, auf der Diné C.A.R.E. sich gegen den Kahlschlag in den Chuska Mountains eingesetzt hatte. Es war zu einem offenen Streit und sogar zu Tätlichkeiten unter den Anwesenden gekommen. Vielleicht war ihre Mutter damals so zornig und aufgebracht weggefahren, dass sie sich beim Fahren nicht wirklich unter Kontrolle gehabt hatte.
    Die Chuska Mountains waren Sophies wunder Punkt gewesen. Für die Navajos haben die Berge, auf denen es das beste Wasser gibt, den besten Wald und das beste Gras, eine besondere Bedeutung. Für die Indianer sind die Chuska Mountains das männliche Gegenstück zur Black Mesa, dem weiblichen Berg. Durch den Kohletagebau der Peabody Coal Company war Black Mesa bereits entweiht, und nun fürchteten die Traditionalisten unter den diné , das Leben ihres Volkes würde noch mehr aus dem Gleichgewicht geraten, wenn auch die Chuska Mountains der Profitgier der Weißen und einiger geldgieriger Stammesmitglieder zum Opfer fielen.
    Die Bergwälder der Chuska Mountains

Weitere Kostenlose Bücher