Zweiherz
vergriff, um seine sexuellen Neigungen auszuleben, den erwartete nach den strengen Regeln des Navajo-Lebensweges Krankheit, Wahnsinn oder sogar der Tod. Kayes Gedanken überschlugen sich, unruhig lief sie auf und ab. War das der Grund, warum Will nicht bei ihrem Vater arbeiten wollte? Weil er ein weißer Mann war? Und konnte er deshalb nicht mit ihr zusammen sein, weil sie auch zur Hälfte weiß war? Plötzlich fühlte sie eine schmerzliche Leere in ihrer Brust.
»Solche Dinge passieren auch im Reservat«, sagte Thomas. »Seit Alkohol und Drogen ihre Verwüstungen unter uns Navajos begonnen haben, gelten die alten Tabus nicht mehr. Die Angelegenheit ist übrigens kein Einzelfall. Indianerkinder sind in dieser Hinsicht leichte Opfer, weil sie anders erzogen sind. Wir müssen im Reservat noch viel Aufklärungsarbeit leisten.«
Thomas Totsoni packte seine Nichte an den Schultern, um sie in ihrem ruhelosen Gang aufzuhalten. »Hör zu, Kaye. Du bist jetzt in einer verdammt verzwickten Situation, weil du etwas weißt, das dieser Junge krampfhaft vor dir zu verbergen sucht. Ich nehme an, er fühlt sich schmutzig. Vielleicht fühlt er sich auch schuldig, denn wenn er geredet hätte, dann würde sein Freund vielleicht noch leben.«
Kaye sah ihren Onkel ungläubig an. Ihre Augen brannten. »Du glaubst, Will fühlt sich schuldig? Er, der missbraucht wurde?«
»Ja, zumindest ist das in solchen Fällen sehr oft so und Wills Verhalten deutet darauf hin. Die Unfähigkeit, über das, was ihm angetan wurde, zu reden, zwingt ihn, es immer wieder zu erleben. Es ist wie ein Teufelskreis.«
»Warum redet er nicht?«
»Dafür kann es viele Gründe geben. Vielleicht will er nicht, dass du es weißt, weil er sich schämt. Vielleicht will er sich auch beweisen, dass er es aushalten kann. Keine Ahnung, Kaye. Aber wenn er herausfindet, dass du mich über ihn ausgefragt hast, wird er dir das vielleicht nicht verzeihen. Niemand mag es, wenn ein anderer etwas über ihn weiß, was er ihm nicht selbst erzählt hat.«
Ratlos blickte Kaye ihren Onkel an, dem inzwischen der Schweiß über die Stirn lief. »Und was soll ich jetzt tun?«
»Abwarten, bis Will selbst damit zu dir kommt. Manche Dinge brauchen eben eine Weile.«
»Was ist eine Weile ?«
Thomas hob die Schultern.
»Und wenn er niemals redet?«
»Er wird. Kein Mensch kann so etwas sein Leben lang mit sich herumschleppen. Außerdem liebt er dich. Man konnte es ihm ansehen.« Thomas nahm seine Nichte fest in die Arme und sagte: »Und jetzt bring mich zurück zu meinem Wagen. Wilma wartet sicher schon mit dem Essen auf mich.«
»Ich brauche, verdammt noch mal, drei Bilder und nicht zwei«, schrie Rost Ted Northridge an. »Sie wissen, wo das dritte Bild ist, also holen wir es. Dann kriegen Sie Ihr Geld und ich kann verschwinden.«
Northridge wand sich wie eine getretene Schlange. »Aber die Polizei war da. Nicht mehr lange und sie werden alles herausfinden. Dann kriegen wir nicht nur Ärger wegen der gestohlenen Felszeichnungen, sondern auch wegen dem Jungen, den Sie einfach über den Haufen gefahren haben. Ich rieche den Ärger förmlich. Wir werden noch die Familie des Jungen auf den Hals kriegen, diese Indianer sind da sehr eigen. Sie haben ja keine Ahnung, wie das hier läuft, wenn jemand von den Indianern richtig sauer auf Sie ist. Plötzlich werden Sie in Ihrem Bett von einer Klapperschlange gebissen und sind tot. Oder eine unerklärliche Krankheit rafft Sie in wenigen Tagen dahin.«
Rost spuckte verächtlich in den Staub. Er war nicht abergläubisch, aber was Northridge da sagte, schien ihm überhaupt nicht zu behagen. Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe den Jungen nicht gesehen, es war ein Unfall. Und außerdem ist er längst auf dem Weg der Besserung, wie ich erfahren habe.«
Northridge atmete auf.
»Nun, was ist, alter Junge?« Rosts Stimme klang jetzt versöhnlicher, aber noch genauso drängend.
»Tut mir leid, Mr Rost«, sagte Ted kopfschüttelnd, »aber ich steige aus. Ich scheiße auf das verdammte Geld. Ich will meine Familie nicht ins Unglück stürzen. Wir leben hier seit fast zwanzig Jahren und dieses Land ist unser Zuhause geworden. Wenn man will, kann man sogar mit den Indianern auskommen. Man sollte sie nur nicht beleidigen. Besonders nicht in dem, was ihnen heilig ist: ihrem Land und ihren Mythen. Aber genau das haben wir getan, denn für die Navajos sind diese Felsbilder heilig. Sie werden uns nicht einfach so davonkommen lassen. Ich habe
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