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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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waren die wichtigsten erneuerbaren Ressourcen auf Navajo-Land. Die Indianer brauchten das Holz, um Balken für ihre Hogans herzustellen und Pfähle für Weidezäune. Vor allem aber brauchten sie es als Feuerholz. In den stammeseigenen Sägemühlen arbeiteten meist Einheimische. Eine Reduzierung der Abholzung würde vielen Holzfällern den Job kosten. Deswegen hatte es auch viele widersprüchliche Meinungen unter den Bewohnern des Reservats gegeben.
    Kayes Mutter hatte dafür gekämpft, dass Aufklärung betrieben wurde. »Wenn die Bäume gehen, geht auch der Mutterboden, und der Wald wird zur Ödnis«, hatte sie ihren Leuten erklärt. »Es können keine Kräuter mehr wachsen, die dem Vieh und dem Wild als Nahrung dienen. Das Wasser, das durch die Wurzeln der Bäume im Waldboden gehalten wird, speist Bäche, in denen sich Fische tummeln, und Flüsse, die die Felder im Tal versorgen.«
    Sophie hatte den Grund für die Misere erkannt. Der Wald wurde zu schnell abgeholzt und wuchs zu langsam nach. Es wurden zu wenig Bäume gepflanzt. Auf all diese Dinge wollte sie ihr Volk aufmerksam machen und hatte durch ihre Aufklärungsarbeit nicht nur Freunde gewonnen. Kayes Mutter hatte immer geradlinig für alles eingestanden, woran sie glaubte. Und Arthur war überzeugt davon, dass ihr genau das letztendlich zum Verhängnis geworden war.
    Arthur hatte nie wirklich an einen Unfall geglaubt. Sophie war eine gute Autofahrerin gewesen. In der Unfallnacht hatte es zwar gefroren, aber der Wagen war auf gerader Strecke von der Straße abgekommen und gegen einen Fels geknallt. Insgeheim gab Kingley ihrem Volk und dem Res die Schuld am Tod seiner Frau. Er wollte sich einfach nicht eingestehen, dass Sophies Wagen ohne ersichtlichen Grund von der Straße abgekommen war.

    Shádi hatte Kaye bis zum gelben Haus gebracht. Sie band die Stute an den Weidezaun und stieg auf die Veranda. Sie klopfte, rief, rüttelte an der Fliegentür, aber drinnen rührte sich nichts. Ein wenig verwundert blickte Kaye sich um. Die Schafe waren nicht in ihrem Korral. Vielleicht trieb Will sie auf eine grüne Weide, wie er es seit seiner Rückkehr gelegentlich getan hatte. Aber Großvater Sam war auch nicht da, weder im Haus oder im Stall noch in seinem kleinen Garten.
    Kaye rüttelte noch einmal an der Tür.
    Es war schon lange nicht mehr vorgekommen, dass sie das Haus verschlossen vorgefunden hatte. Wills Abwesenheit wunderte sie wenig, aber dass der Alte auch nicht zu Hause war, fand sie merkwürdig. Zwar zog er immer noch mit seinen Schafen los, aber meist fand man ihn nie weit vom Haus entfernt. Er war zu alt, um noch hinauf auf die Mesa zu steigen.
    Kaye lief herum und suchte nach irgendeinem Hinweis, wohin die beiden gegangen sein könnten. Auf einem großen flachen Stein neben dem wilden Pflaumenbaum entdeckte sie die Spuren verschiedenfarbiger Pulver, die mit irgendetwas Löffelartigem vorsichtig in ein Behältnis gefüllt worden waren. Roter Sand, weißer Sand und mit schwarzer Kohle zerriebener Sand. Sie entdeckte auch Spuren von hellgelbem, sehr feinem Staub. Kaye befeuchtete einen Zeigefinger mit der Zunge, tauchte ihn in das quittegelbe Pulver und leckte daran. Es schmeckte süßlich. Pollenstaub.
    Diese verschiedenfarbigen Pulver verwendet das Volk der Navajos für seine Sandbilder. Sandmalereien sind ein wichtiger Bestandteil von Reinigungs- und Heilungszeremonien. Gelber Pollen reinigt den Körper, wenn man etwas davon auf die Zunge legt. Einen Augenblick dachte Kaye nach, dann wusste sie auf einmal, wo sie Will und seinen Großvater finden würde.
    Sie band Shádi los, stieg auf und presste ihrem Pferd die Knie in die Flanken. Gehorsam schlug die Stute den schmalen Pfad ein, der ins Hinterland und in den Water Hole Canyon führte. Kaye war sich sicher, dass Will und sein Großvater oben auf der Mesa waren.

    Nur mit Boxershorts bekleidet, hockte Will in der kleinen Schwitzhütte hinter dem Hogan in sengender Dunkelheit. Großvater Sam hatte ihm auf einer Heugabel die glühenden Steine hereingereicht und sie in die Vertiefung in der Mitte gelegt. Dann hatte der alte Mann die Decke vor den Eingang gezogen, der nach Osten zeigte - in die Richtung, aus der die Götter kamen.
    Will wusste, was er zu tun hatte. Er griff neben sich nach der Kelle im Blecheimer und schüttete mit Salbei angereichertes Wasser über die heißen Steine. Es zischte, als ob hundert Schlangen aufbegehren würden. Dampfwolken füllten den niedrigen kleinen Raum und nahmen Will

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