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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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zumute, und sie schaute sich erneut um, weil sie das ungute Gefühl hatte, nicht alleine zu sein. War Johns ch’iindi noch hier, sein Totengeist?
    Sogar Shádi schnaubte auf einmal unruhig und scharrte mit den Vorderhufen in der roten Erde. Spürt die Stute es auch? Aberglaube hin, Aberglaube her, Kaye fühlte sich plötzlich mehr als unbehaglich. Es war nur ein Schatten, doch sie spürte die Bedrohung körperlich. Und schließlich sah sie ihn . Er stand neben dem Steinhügel, halb verdeckt von einem Salbeibusch, und blickte sie mit gelben Augen an.
    Zweiherz, dachte Kaye erschrocken. Von ihrer Mutter hatte sie unzählige Geschichten über Kojote gehört. Sie wusste, er konnte mächtigen Ärger machen, wenn man noch vor dem ersten Frost über ihn redete. Denn dann zog man seine Aufmerksamkeit auf sich und war - wenn man seine Wünsche nicht erfüllte - seinen Zauberkräften ausgesetzt. Kaye war nie auf die Idee gekommen, sich vor Graubein Kojote zu fürchten. Doch jetzt flatterte ihr Herz und beruhigte sich auch nicht, als das Tier den Blick von ihr abwandte und davontrottete. Er war nicht ihr auf den Fersen, das wurde ihr in diesem Moment klar. Der Unheilstifter war hinter Will her.
    Kaye hoffte inständig, Großvater Sams Gesänge würden mächtig genug sein, um Will aus der Macht des Grauen zu befreien. Sie wünschte sich, Will würde nach dieser Zeremonie in der Lage sein, sie zu lieben, wie ein Mann eine Frau liebt. Denn dann würde der Kojote keine Macht mehr über ihn haben. Den Überlieferungen zufolge war der Vierbeinige schon an der Liebe von Erster Mann und Erster Frau gescheitert.
    Sie beruhigte Shádi mit leisen Worten und band die Stute los. Dann stieg sie auf und ritt langsam in den Canyon zurück, wo sie von Jaspers freudigem Bellen begrüßt wurden. Das Bellen des Hundes und das Blöken der Schafe holten Kaye in die Realität zurück. Was für herrlich bodenständige Stimmen das doch waren.
    Sie hatte einen Kojoten gesehen, na und? Die gab es hier schließlich wie Sand am Meer.

    Kojote stand auf dem Grabhügel und rieb das verfilzte Fell an den aufgeschichteten Steinen. Zweiherz sonnte sich im Triumph eines längst vergangenen Sieges.
    Hier unten drang wenigstens der Gesang des Alten nicht mehr in seine Ohren. Der Indianer zelebrierte eine Heilungszeremonie, mit der er seinen Enkel vor der Macht des Bösen schützen wollte. Die Zeremonie nannte sich: Weg derer, die nach oben unterwegs sind. Sie sollte den Patienten vom Übel der Unterwelt befreien.
    Es würde dem Alten nicht gelingen.
    Kojote lachte listig. Er hatte zu viele Fallen für sein Opfer ausgelegt, war sehr überlegt an die Sache herangegangen. Seine Künste mussten einfach zum Erfolg führen.
    Bald würde es neuen Ärger geben.
    Kojote bellte vor Freude.
    In der Dämmerung holte Sam seinen Enkelsohn in den Hogan. Zuvor hatte er auf dem Boden aus eingefärbtem Sand ein kreisrundes Sandbild gelegt. Es zeigte die Erde, die Fünfte Welt. Darin die schematische Darstellung von Wolken, Blitzen und Bergen und zwei lang gezogenen menschlichen Wesen, den Wissenden Leuten. Außerdem zeigte es je eine Abbildung der vier heiligen Pflanzen: Mais, Bohnen, Kürbis und Tabak.
    Der Kreis war nicht geschlossen. Wenn negative Dinge ihren Lauf begonnen hatten, so glauben die Navajos, ist der Betroffene in einem Kreislauf aus Verblendung und Verwirrung durch das Böse gefangen. Schließt man den Kreis, kann keine hilfreiche Kraft hineingehen, und das Böse kann nicht hinaus.
    Den ganzen Tag hatte der alte Mann an diesem Sandbild gearbeitet. Um einen Teil des Sandes schwarz einzufärben, hatte Sam die Holzkohle von Pinien verwendet. Roten Sand gab es im Water Hole Canyon, weißen am Ufer des Antelope Wash. Der gelbe Sand war mit Blütenpollen vermischt, der grüne mit trockenen zermahlenen Blättern.
    Will musste sich genau in die Mitte des Sandbildes setzen, um eine direkte Verbindung zu den diyin , den Wissenden Leuten, herzustellen. Der Großvater drückte ihm mit der Fingerspitze Maispollen auf die Stirn und die Zunge. Dann streute er Maispollen über Wills ganzen Körper. Er schwang eine Kürbisrassel und begann einen Gesang über die Schöpfung der Erde und den Aufstieg durch die vier Welten. Will wusste, dass jedes Wort stimmen musste, sonst war die Zeremonie wirkungslos. Er vertraute seinem Großvater, denn er spürte, er konnte der Liebe und der Lieder des alten Mannes sicher sein.
    Ab und zu schritt Sam den Hogan in Richtung des Sonnenlaufs ab und

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