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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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ihrem Vater die Wahrheit zu sagen. Weil sie nicht wollte, dass er es von Ashie Benally erfuhr, mit dem er auch telefonieren würde, schon allein seiner geliebten Schafe wegen.
    »Soso«, sagte Arthur und mehr nicht.
    Kaye spürte die wortlose Missbilligung in seinem Schweigen. »Will ist pünktlich und fleißig und es geht hier gut voran. Wann kommst du wieder, Dad?« Sie hatte ihn das eigentlich nicht fragen wollen, aber nun tat sie es, um ihn von Will abzulenken.
    »Ich weiß nicht«, kam es sehr zögerlich vom anderen Ende der Leitung.
    »Lass dir Zeit, Daddy. Hier läuft alles prima.«
    »Und es ist auch wirklich alles in Ordnung?«
    »Ja, hundertprozentig.«
    Wieder Schweigen.
    »Was ist aus der Geschichte mit den Felszeichnungen geworden?«
    »Sie haben es noch mal getan. Die Polizei ist hinter den Männern her. Will hat nichts mehr damit zu tun.«
    »Das ist gut. Sei vorsichtig, ja?«
    »Dad!«
    »Ich liebe dich, Kleines!«
    »Ich dich auch, Dad.« Sie donnerte den Hörer an die Wandhalterung.
    »Ich liebe dich, Kleines!« , sagte sie mit verstellter Stimme und verzog dabei grimassenhaft das Gesicht.

    Die verschiedenen Farbtöpfe waren nun mit Wolle bestückt, und Kaye machte sich daran, das Essen für Großvater Sam vorzubereiten. Sie kochte Reis und dicke Bohnen und buk Maistortillas.
    Inzwischen ärgerte sie sich darüber, dass sie ihrem Vater am Telefon gesagt hatte, Will sei pünktlich und fleißig. Das war wie Verrat an ihrem Volk. Das System, nach dem der Wert eines Menschen beurteilt wurde, war für die Weißen ein anderes als für das Volk der Navajos. Weiße sagten Indianern seit jeher nach, sie wären faul und könnten sich nicht an Zeiten halten. Indianer aber leben nach ihrer inneren Uhr, was Kaye ganz vernünftig fand - nur dass es in der heutigen Zeit deshalb manchmal zu Komplikationen kommen konnte. Zum Beispiel wenn ein Indianer einen festen Job hatte, bei dem er jeden Tag pünktlich um dieselbe Zeit erscheinen musste. Vielleicht gab es für ihn an manchen Tagen wichtigere Dinge zu tun, als pünktlich bei der Arbeit zu sein. Vielleicht wollte die alte Großmutter in die Stadt gefahren werden, es regnete und das Dach war undicht oder ein Schaf war krank. Kam es mehrmals vor, dass die Arbeitszeiten nicht eingehalten wurden, verlor der Mann seinen Job. So etwas passierte sehr oft. Der Wert der Pünktlichkeit war immer wieder ein großes Problem zwischen Weißen und Indianern.
    Kaye dachte an Ashie Benally und Hoskie Whitehead, die beiden Navajos, die für ihren Vater arbeiteten. Er akzeptierte ihre Begründungen, wenn sie mal später oder gar nicht zur Arbeit erschienen, hatte sie allerdings gebeten, ihn an solchen Tagen anzurufen, damit er wusste, woran er war. Diese Regelung funktionierte gut und deshalb war Arthur Kingley als Chef bei den beiden beliebt und konnte sich auf sie verlassen.
    Kaye schimpfte laut über sich selbst. Warum hatte sie Will vor ihrem Vater verteidigt, wo es doch gar nichts zu verteidigen gab? Ashkii war ihr Pferd, und sie hätte es auch verschenken können, wenn sie das gewollt hätte.
    Sie holte die in Reisrand gebackenen Bohnen aus der Röhre und wickelte die heiße Auflaufform in ein Handtuch. Die Tortillas würde sie bei Großvater Sam noch einmal kurz aufwärmen. Kaye war neugierig, ob Will und sein Großvater schon wieder zurück waren von der Mesa. Ursprünglich dauerten solche Zeremonien mehrere Tage und Nächte. Aber das war früher gewesen, jetzt ging alles schneller, man hatte nicht mehr so viel Zeit. Selbst ihre eigene kinaaldá hatte nur zwei Tage gedauert statt vier.
    Es konnte passieren, dass Kaye erneut vor verschlossener Tür stehen würde, aber einen Versuch war es ihr wert.

    Als Kaye von der Hauptstraße auf den unbefestigten Weg bog, der zu Großvater Sams gelbem Haus führte, begannen sich ihre Gedanken zu überschlagen.
    Vor dem Haus stand ein Streifenwagen.
    Kaye parkte ihren Jeep neben dem schwarzen Geländewagen mit dem Zeichen der Navajo-Stammespolizei. Sie nahm die Tortillas und die Auflaufform mit dem Essen und ging hinein. Diesmal, ohne sich vorher anzukündigen. Sam Roanhorse saß reglos am Küchentisch. Vor sich einen leeren Teller, auf den er stierte, als könne er nur mit seinem Willen ein Mittagessen darauf zaubern.
    » Yá’át’ééh, Großvater«, begrüßte Kaye ihn und stellte das Essen vor den alten Mann auf den Tisch. Sonst war Sam immer neugierig, was es gab, aber diesmal schien er kein Interesse daran zu haben.
    »Die

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