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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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Atem und sog den Nebel ein. Tief vom Grund erglühte das Wasser in einem geisterhaften Blau, löcherte die Promenade mit einem Muster aus blauen Linien und Punkten, dort, wo Risse und Lücken im Beton waren. Jay kämpfte sich mit schmerzenden Beinen und hustend vor Kälte weiter. Das Wasser strudelte und floss zur Biegung der Wallabout Bay. Der Geruch nach Schlamm und Meer nahm ihm fast den Atem, Fische zappelten auf dem Trockenen.
    Endlich erreichte er Ivy, halb fallend, halb schlitternd, in dem Moment, als sie das Mondmädchen aus ihrer Umklammerung entließ. Bewusstlos rollte sie zur Seite, langes Haar floss wie rötliches Mondlicht über das verwitterte Holz.
    Er konnte nur hoffen, dass er Ivy nicht in die Hand schnitt, so sehr zitterten ihm die Hände, als er die Fessel, so schnell er konnte, durchsäbelte. Die Schlaufe lockerte sich sofort und Ivy konnte die zweite Hand selbst befreien.
    Sie sprang auf und brachte einen Abstand zwischen sich und das Mädchen. In diesem Moment kam das Mondmädchen zu sich, verzog das Gesicht, griff sich an den Hals und hustete. Sie schlug die Augen auf und sah Jay.
    Seine Finger schlossen sich unwillkürlich fester um den Messergriff. Verräterin, hallte es immer noch in seinem Kopf. Ihr Mund klappte auf. Maßlose Enttäuschung spiegelte sich in ihrer Miene. »Du bist ja hier«, brachte sie mit einem mühsamen Krächzen heraus. »Ich wollte dich doch retten!«
    Ein Stoß traf ihn gegen die Schulter. »Hör nicht auf sie«, schrie Ivy. »Weg hier!« Seite an Seite flüchteten sie zurück in Richtung Festland. Bei einem hastigen Blick über die Schulter sah er, dass das Mondmädchen auf die Beine kam. Verfolgt sie uns? Oder … flüchtet sie?
    Dann brach der Sturm los.
    Eine eisige Bö traf sie wie eine unsichtbare Wand und fegte sie von den Beinen. Die Wucht warf sie zurück in Richtung Pfeiler und versetzte die Brücke in Schwingung. Sie erbebte unter dem Rucken von Seilen, die an ihren Verankerungen rissen. Jay rollte sich über die Schulter ab, aber es war unmöglich, wieder auf die Beine zu kommen. Der Winddruck schob und wirbelte ihn herum, spielte mit ihm wie mit einem Ball, den er auf das Tor zuschob. Nur zufällig bekam er eine Geländerstrebe zu fassen und klammerte sich fest. Der Sturm drückte ihm die Lider zu, aber er blinzelte und sah zu seiner Erleichterung Ivy nicht weit weg, an einen Laternenmast geklammert. Eine Sekunde begegneten sich ihre Blicke. Dann hörte er von rechts ein Wimmern. Das Mondmädchen krallte sich ebenso verzweifelt fest. Ihr starrer Blick war auf die Bay gerichtet. Und dann sah Jay es auch.
    Ein ohrenbetäubendes Reißen ertönte, ein Krachen, wie das Brechen von Eis, nur dass hier das Wasser brach, während es fror. Bizarre Formen türmten sich zum Himmel und zersprangen noch im Wachsen, splitterten und rollten auf die Brücke zu. Die Welle wälzte heran, eine gläserne Lawine aus surrealistischen Eisskulpturen und blitzend scharfen Bruchkanten. Welle um Welle erfror und brach. Unter Jay bockte und schlingerte die Brücke. Die Woge aus Wucht und Magie donnerte wie ein Gletscher im Zeitraffer direkt auf die Brücke zu. Und kein Ausweg. Komischerweise verspürte er keine Panik. Nur eine seltsame Taubheit und Ruhe. Und absurderweise war sein einziger Gedanke: Titanic . Nur dass der Eisberg uns rammt.
    Er zog den Kopf ein, als die Welle gegen die Brückenpfeiler krachte. Der Stoß hätte ihn um ein Haar nach hinten von der Brücke geschleudert. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Ivy quer über die Promenade rutschte und sich zusammenkauerte – genau an der Stelle, an der sie gefesselt gewesen war. Ein Hagel aus Eiskristallen und Rost traf ihn mit tausend Nadeln. Er presste die Lider zusammen und riss den Arm vor sein Gesicht.
    Eis fraß sich in Sandstein und Granit. Dann begann der Brückenpfeiler nachzugeben und zu kippen. Das Aufkreischen von Metall schien Jays Schädel durchzusägen. Als er sich wieder traute, die Augen zu öffnen, sah er Querträger, die sich verbogen und knickten, als wären sie aus Pappe. Nieten brachen in den Längsträgern. Stahlseile rissen aus ihren Verankerungen, zischten und pfiffen durch die Luft. Ein Schrei ertönte, dann sah Jay gerade noch, wie Ivy einfach weggerissen wurde. Sein eigener entsetzter Aufschrei ging im Kreischen des Metalls unter. Aber dann erkannte er, dass Ivy gar nicht gefallen war. Sie hing fest – am losen Stahlseil, um das immer noch das eine Ende der Fessel geknotet war. Das längere Stück

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