Zweilicht
»Ich gehe zu ihm.«
»Was hast du davon, Mondmädchen?«, rief Night. »Und selbst wenn es dir gelingt – du kennst die Regeln. Wenn du gegen sie verstößt, wird Wendigo euch beide töten.«
»Bis zum ersten Schnee«, sagte Ban drohend. »Keine Nacht länger für diese Lektion. Und wenn er dir auch nur ein Haar krümmt, töte ich ihn sofort.«
Teil II – blue moon
der sturm
j ay wachte mit einem merkwürdigen Geruch in der Nase auf. War das … Erde? Sein Kopf dröhnte, seine Augen waren zugeschwollen und er hatte im ganzen Leben noch keinen solchen Durst verspürt. Vorsichtig blinzelte er. Eine kühle Oktobersonne fiel ihm direkt ins Gesicht. Es war ungewöhnlich, dass es so hell war, denn sonst hielt der Baum die Sonnenstrahlen ab. Neben ihm im Bett war eine Kuhle und an seinem T-Shirt hingen ein paar helle Haare. Er erinnerte sich daran, wie er nachts aus dem Schlaf hochgeschreckt war, weil Feathers versucht hatte, zu ihm auf die Matratze zu kriechen. Aber viel deutlicher war die Erinnerung an die Fete mit Alex und den anderen. Hätte ich doch die Finger vom Alkohol gelassen , dachte er. Allerdings erinnerte er sich beim besten Willen nicht daran, mehr als nur ein Bier getrunken zu haben, obwohl Sally alles daran gesetzt hatte, ihn abzufüllen. Warum fühlte er sich trotzdem so, als hätte er die ganze Hausbar abgeräumt? Offenbar war er nichts mehr gewöhnt. Oder vielleicht saß ihm die Renovierung von gestern noch in den Knochen. Jedenfalls fühlten sich seine Muskeln an, als hätte er vier Stunden zu lange trainiert, und er fror erbärmlich. Die Helligkeit stach in seine Augen und das Dröhnen war nicht nur in seinem Schädel, es vibrierte wie ein fernes Geräusch. Jay tastete nach seinem Handy und fand es nicht. Schließlich entdeckte er es neben seinem Bett. Keine Nachrichten. Das war schon mal gut. Die Uhr zeigte an, dass es halb neun Uhr morgens war.
Als er sich aufrichtete, merkte er, dass er aus irgendeinem Grund die Stöpsel seines MP 3-Players im Ohr hatte. Sobald er sie herauszog, verwandelte sich das Rumpeln, das er bisher nur wie eine Vibration gespürt hatte, in Lärm. Eine Säge? Unten in der Küche polterte es und wie jeden Morgen lief die Morning Show im Fernsehen. Onkel Matt machte also schon Frühstück. Der Gedanke an gebratene Eier drehte Jay den Magen um, aber es half nichts. Wenn er nicht verdursten wollte, musste er sich bewegen.
Stöhnend wälzte er sich aus dem Bett, kam mit viel Mühe auf die Beine. Er zog sich an und schleppte sich zur Treppe. »Feathers?« Kein Bellen antwortete ihm. Vorsichtig balancierte er an den ausgehebelten Treppenstufen vorbei und kletterte über die Leiter nach unten.
In der Küche sah er sich dem nächsten Chaos gegenüber.
Onkel Matt machte kein Frühstück. Er war gerade damit beschäftigt, die Küche zu kehren. Das Fenster stand offen und die Tapete war durchweicht, feuchtes Laub und Schlammschlieren bedeckten den Boden.
»Wie ist das denn passiert?«, fragte Jay. Sein Onkel warf ihm über die Schulter einen düsteren Blick zu und musterte ihn von oben bis unten. »Dasselbe könnte ich dich fragen. Hast du schon in den Spiegel gesehen? Tu’s lieber nicht.« Er schob einen Haufen nasses Laub zusammen. »Bist ja ganz schön angeschlagen.«
»Ja, war wohl ein bisschen viel in den letzten Tagen.«
»Ein bisschen viel, aha. Und wie war die Party bei deinem Trainingspartner?«
»Gut. Ich habe den Rest der Mannschaft kennengelernt.«
Und Sallys Aufdringlichkeit auch.
»Mal sehen, wie lange du in der Mannschaft bleibst, wenn du dich bei jedem Treffen besäufst.«
Jay wollte ihm erklären, dass von Besaufen keine Rede sein konnte, aber ihm war klar, dass er gerade ein ganz anderes Bild abgab.
»Hast du wenigstens mitbekommen, was hier los war?«, fragte Matt.
»Es hat gestürmt. Heute Nacht war der Wind schon so stark, dass ich mich auf den letzten Metern kaum auf den Beinen halten konnte.«
»Du kannst froh sein, dass dir kein Ast auf den Schädel gefallen ist.«
So schlimm? , dachte Jay mit einem flauen Gefühl.
»Experten sind der Meinung, dass es sich bei dem Sturm tatsächlich um einen Hurrikan gehandelt hat« , sagte die Moderatorin im Frühstücksfernsehen. »Er hat Teile von New York lahmgelegt. Besonders betroffen ist die Gegend am Central Park. Seit den frühen Morgenstunden ist die Feuerwehr dabei, die Schäden zu beseitigen. In vielen U-Bahnen sind die Wasserpumpen ausgefallen. Bis auf Weiteres ist der U-Bahn-Verkehr
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