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Zweilicht

Zweilicht

Titel: Zweilicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blazon Nina
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mein Cousin aus Deutschland«, rief Aidan. »Du hast ihn ja schon gesehen. Jay, das ist Linda.«
    »Aus Deutschland, so, so«, sagte sie nur. Dann drehte sie ihm den Rücken zu und ging einfach ins Haus. Na Klasse, noch eine mit schlechter Laune. Dabei brüstete Onkel Matt sich immer damit, dass Amerikaner in Krisenzeiten zur Hochform aufliefen und sich an Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft überboten.
    »Hat mich auch sehr gefreut«, rief er der Nachbarin erbost hinterher. »Und wir kümmern uns natürlich gern um Ihren Baum, keine Ursache!«
    »Kein Grund, gleich hochzugehen«, sagte Aidan. »Sie mag einfach keine neuen Leute in der Nachbarschaft. Aber sie wird sich schon an dich gewöhnen.« Immerhin sparte er sich heute einen Satz wie: »Das müssen wir ja alle, ob es uns passt oder nicht.«
    »Fragt sich, ob ich mich auch an sie gewöhne«, murmelte Jay. Und an dich.
    Wütend packte er einige Aststücke und trug sie durch die Werkstatt zur Straße. Dort stapelte sich bereits ein ganzer Haufen Trümmer. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte ein herabgestürzter Ast ein Autodach verbeult. Laub lag überall. Jay stieß den Pfiff aus, auf den Feathers sonst immer sofort hörte, und wartete. Aber der Hund tauchte nicht auf. Stattdessen begann es auch noch zu regnen. Hinter ihm stritten Matt und Aidan in der Werkstatt herum.
    »Lass den verdammten Baum und kümmere dich endlich um das Dach. Siehst du nicht, dass es regnet? Es reicht, dass die Küche aussieht wie ein Sumpfloch.«
    »Wir haben keine Dachpappe mehr.«
    »Das weiß ich, Einstein. Aber bis ich welche besorgt habe, müssen wir das komplette Dach oben mit Folie abdecken. Wenn es so weiterregnet, läuft uns die ganze Suppe nämlich ins Haus.«
    Jay ging zurück in die Werkstatt. »Ich gehe hoch.«
    »Ach, sieh mal an, Charlies Söhnchen spielt den Helden«, spottete Aidan. »Du lässt wohl keine Gelegenheit aus, dich einzuschleimen.«
    Das reichte!
    Jay war so schnell bei ihm, dass Aidan beim Zurückweichen stolperte. Aber er fiel nicht, denn Jay hatte ihn mit beiden Fäusten an seiner Jacke gepackt.
    »Noch so einen Spruch erlaubst du dir nicht, klar?«
    Matts Pranke sauste schmerzhaft stark auf seine Schulter nieder, mit einem groben Ruck zerrte er Aidan und ihn auseinander. »Damit fangen wir hier erst gar nicht an!«, donnerte er. »Jay, du gehst aufs Dach. Aidan, raus! Du machst den Baum fertig.«
    »Pack deine Muskeln ein, du Angeber«, knurrte Aidan in Jays Richtung, aber er trollte sich in Richtung Garten. Jay stand immer noch schwer atmend da, die Hände zu Fäusten geballt.
    »Geht’s wieder?«, fragte Matt trocken. Heute wirkte sogar sein Onkel feindselig. Klasse Tag. Und gleichzeitig ärgerte er sich darüber, dass er sich ausgerechnet von Aidan provozieren ließ. »Mir reicht es einfach, mich den ganzen Tag anschnauzen zu lassen«, murmelte er.
    Onkel Matt musterte ihn mit undurchdringlicher Miene, und Jay hatte das unangenehme Gefühl, dass er doch länger mit Charlie telefoniert hatte.
    »Wenn man dich ärgert, bist du genau so ein Hitzkopf wie dein Vater«, sagte Matt schließlich. »Hol erst mal die Leiter und kühl dich auf dem Dach ab.«
    *
    Der Sturmwind hatte eine Bahn der losen Dachpappe umgeklappt und heruntergerissen. Irgendetwas Hartes musste noch dagegen geprallt sein, denn von der obersten Sprosse der Leiter konnte Jay durch ein faustgroßes Loch in den Dachboden hineinsehen. Er musste das ganze Dach abdecken und die Folie an den Seiten mit alten Reifen beschweren. Die Schlepperei über die Leiter war eine Knochenarbeit, aber zumindest lenkte sie ihn ab. Unten redete und lachte Aidan mit jemandem, aber Jay hörte nicht hin. Um die Folie anbringen zu können, musste er in einer verkrampften Haltung auf dem Dach kauern. Onkel Matts Werkzeuggürtel stabilisierte ihn durch sein Gewicht, sodass er sich kaum gegen den Sicherheitsgurt lehnen musste, der mit einem Karabiner an der Leiter festgemacht war. Die Muskeln an seinem Nacken pochten, während er einen Reifen an die Dachkante wuchtete. Dann richtete er sich auf und streckte sich. Die Sonne hatte sich hinter eine bleigraue Wand aus Wolken verzogen. Durch einen Schleier aus Nieselregen konnte Jay über die Dächer hinweg bis zu den alten Fabrikgebäuden am East River schauen. Matt hätte sicher gesagt, die Gegend sei hässlich, aber Jay konnte nicht anders, als fasziniert zu sein. Es lag eine Schönheit darin, die etwas von einem düsteren Thriller hatte. Nasse Fassaden, kühles

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