Zweilicht
eingestellt …«
Das Bild im Fernsehen erinnerte an die Fernsehbilder vom Sturm Anfang September. Umgestürzte Bäume, Trauben von Pendlern, die vor den abgesperrten U-Bahn-Stationen standen oder sich zu Fuß auf den Weg zur Arbeit machten. Aber Fernsehbilder auf einem Sofa in Berlin zu sehen oder selbst mitten im Geschehen zu sein, war ein Unterschied.
Madison. Der Gedanke durchfuhr ihn wie ein heißer Schauer. Geht es ihr gut?
» … durch ein Wunder gab es keine Toten und Verletzten … «, leierte die Moderatorin.
»Hier, trink was.« Matt schob Jay eine Tasse Kaffee zu. »Bist ja plötzlich ganz blass um die Nase.«
Jay nahm die Tasse dankbar an. Dann wandte er sich ab, holte das Handy hervor und rief Madison an. Lange ging niemand ans Telefon, dann meldete sich der Anrufbeantworter. Eine warme Frauenstimme, vermutlich Madisons Mutter.
»Hallo, hier sind die Parks. Hurrikan-Alarm auch bei uns. Das Haus steht noch, aber wir sind gerade mit dem Aufräumen beschäftigt. Sprecht auf Band, wir rufen zurück.«
Diese Art von Humor passte irgendwie zu Madisons Familie. Erleichtert legte er auf. Ein paar Sekunden zögerte er, aber dann schrieb er noch hastig eine SMS an seine Mutter. Falls die Morgennachrichten in Deutschland irgendetwas über den Sturm brachten, würde sie einen Schock bekommen.
Bei uns alles in Ordnung. Gruß – J.
Dann nahm er endlich einen Schluck von dem Kaffee. Das Gebräu war schon kalt, dazu stechend bitter und viel zu stark, aber dennoch tat es gut und machte ihn tatsächlich sofort wacher.
»Wir hätten gestern das Dach noch machen sollen«, brummte Onkel Matt missmutig. »Jetzt hat es ein Stück Dachpappe heruntergerissen. Und im Garten sieht’s auch nicht gut aus.«
Als Jay aus der Küchentür in den Garten trat, wusste er, woher der Erdgeruch kam: Der morsche Baum aus dem Nachbarsgarten war umgeknickt und lag quer über Onkel Matts Grundstück. Der Rasen war von den Ästen geradezu umgepflügt worden und der Zaun war ebenfalls umgerissen worden. Der Baum vor Jays Fenster stand zwar noch, aber an den Zweigen hing kein einziges Blatt mehr. Neben dem gesplitterten Stamm stand Aidan mit Ohrschützern und zerkleinerte mit einer Motorsäge einen dicken Ast.
Hinter Jay brach die Fernsehstimme der Moderatorin mitten im Satz ab.
»Shit«, fluchte Onkel Matt und versetzte dem Apparat einen kräftigen Hieb. »Stromausfall. Auch das noch.«
Im Garten war auch die Motorsäge abrupt verstummt, man hörte Aidan ebenfalls fluchen. Er warf die Säge hin und machte sich daran, Äste und Zweige beiseitezuschaffen. »Hey, macht es Spaß, mir beim Arbeiten zuzuschauen?«, brüllte er zu Jay hinüber. »Los, beweg deinen Arsch und fass mit an!«
Jays Laune sank endgültig auf den Nullpunkt. Heute brannte wirklich die Luft. Widerwillig ging er über die aufgewühlte Erde zu seinem Cousin hinüber. Der zog gerade mit einem wütenden Ruck eine Schaufel aus dem Haufen von Werkzeugen und warf sie Jay vor die Füße. »Ich brauche die größere Schaufel aus der Werkstatt.« Jay hatte gute Lust, ihm die Meinung zu sagen, aber dann hob er die Schaufel auf und sah sich um.
»Wo ist Feathers?«
Aidan zuckte mit den Schultern. »Er wird schon wieder auftauchen. Wir müssen den Baum wegschaffen. Arbeitshandschuhe sind in der Werkstatt. Glaubst du, du schaffst es, mit einer Axt zu arbeiten, ohne dir den Fuß abzuhacken?«
Jay sparte sich eine bissige Antwort und stapfte in die Werkstatt.
Es dauerte eine Weile, bis er in den Rhythmus der Axtschläge gefunden hatte. Aber er fühlte sich besser, sobald seine Muskeln warm geworden waren. Das Schuften tat gut und vertrieb die Schwere aus seinen Knochen. Auf den Nachbargrundstücken waren die Leute ebenfalls dabei, die Schäden zu beseitigen. Vor dem Nebenhaus fegte eine Frau die Scherben einiger Blumentöpfe zusammen. Jay hatte sie bisher nur von Weitem gesehen und sich jedes Mal gedacht, dass sie wie eine Afrikanerin aussah. Rasta-Zöpfe und ein leuchtend blau und violett gemustertes, weites Kleid, das sowohl ihre Körperfülle als auch ihre braune Haut betonte. »Morgen, Aidan«, rief sie mit rauer Stimme. »Hast du gesehen, was mit eurem Dach passiert ist?«
Aidan wischte sich über die Stirn. »Ist ja wohl kaum zu übersehen.«
Ihr Blick glitt zu Jay herüber.
»Hallo«, sagte er und versuchte sich an einem höflichen Lächeln. Doch die Nachbarin stand nur auf ihren Besen gestützt da und starrte ihn an, als sei er ein tollwütiger Hund.
»Das ist
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