Zweilicht
Flecken leuchteten. Ein lila Schatten lag um sein rechtes Auge – und seine Unterlippe war immer noch geschwollen von Petes Schlag. Oder von der Prügelei, die es angeblich nicht gegeben hat. Er musste tief durchatmen, um das erneut aufsteigende Gefühl von Panik zu unterdrücken. Hastig kämmte er sich mit den Fingern durch sein nasses Haar. Es nützte nicht viel. Die wirren Locken leisteten im nassen Zustand erst recht Widerstand. Heute sah er wirklich aus wie ein Mitglied irischer Banden.
*
Madison war nicht da. Er begriff es in dem Moment, als er Aidan in seinem Zimmer sah – mit diesem hinterhältigen Triumph in seiner Miene, der Jays Blut sofort wieder zum Kochen brachte.
Ich hätte es wissen müssen.
»Sehr witzig!«, zischte er.
Aidan lachte. Es klang nicht einmal schadenfroh. »Ich wollte nur mal sehen, wie eitel du bist. Nicht, dass es viel nützen würde. Du siehst immer noch aus wie ausgekotzt.«
Aidan drehte sich auf dem Absatz um. Ein leises Reißen erklang, das Jay durch und durch ging. Aidan sprang sofort beiseite. Zurück blieben eine zerrissene Postkarte und zwei andere, auf denen nun der regennasse Abdruck von Aidans Sneakers die Tinte verlaufen ließ.
»Du bist echt das Letzte!«, brüllte Jay.
Aidan wollte die Karten aufheben, aber Jay kam ihm zuvor und schlug ihm so grob die Hand weg, dass sein Handrücken schmerzte.
»War doch keine Absicht«, sagte Aidan. »Sind die von deiner Mutter?«
Jay gab keine Antwort. Hastig suchte er die Karten zusammen. Als er sich wieder umdrehte, steckte sein Cousin sich gerade in aller Ruhe eine selbstgedrehte Zigarette zwischen die Lippen. Er kramte in den Taschen seiner Lederjacke. »Hast du Feuer?«
»Nein. Und jetzt raus aus meinem Zimmer!«
Aidan wirkte nicht besonders beeindruckt. »Okay«, meinte er nur fast gelangweilt. Im Hinausgehen griff er in seine Tasche und warf Jay einen schmalen, blausilbernen Gegenstand zu. Jay fing ihn auf – es war sein Handy. Aufgeladen.
»Komm runter in die Küche«, meinte Aidan versöhnlich. »Linda hat uns mit Kuchen versorgt. Und ich habe dir einen Kaffee aufgehoben.«
Das nahm Jay jeden Wind aus den Segeln. Aidans Schritte dröhnten auf der Metallstiege. Feathers wuchtete sich hoch und verließ das Zimmer. Und Jay fühlte sich mit einem Mal nur noch müde. Auf dem Display leuchtete die Meldung Acht neue Nachrichten .
Charlie. Er las nur die ersten beiden SMS – die übliche Litanei aus Anschuldigungen und den Bitten um Rückruf – und löschte den Rest ungelesen. Mit dem Gedanken an seinen Vater war das heute erstaunlich leicht.
Unten in der Küche roch es nach rohem Fleisch. Aidan riss eine Schublade nach der anderen auf und suchte offenbar wieder nach einem Feuerzeug. Und auf der Anrichte warteten eine Tasse mit Kaffee und ein Teller mit undefinierbaren, matschbraunen Kuchentrümmern.
»Danke«, sagte Jay widerwillig. »Für den Kaffee. Und … das Handy.«
Aidan zuckte als Antwort nur mit den Schultern, aber Jay glaubte zu sehen, dass die Andeutung eines Lächelns über seine Miene huschte. »Kein Problem. Es lag hier unten beim Ladegerät und wir hatten heute Morgen kurz Strom. Hat sich angeboten.«
Es schepperte, als er die letzte Schublade zuwarf.
»Matt reißt dir den Kopf ab, wenn er sieht, dass du im Haus rauchst.«
»Matt ist aber nicht da. Und er muss ja nicht alles wissen – ebenso wenig wie Maddy, habe ich recht? Hast du ihr von dem Mädchen erzählt? Und von dem, was gestern passiert ist? Du weißt – Phantomschlägerei.«
»Damit sie mich für verrückt hält? Nein! Und komm bloß nicht auf die Idee …«
Aidan zeigte ein feines, listiges Lächeln und winkte ab. »He, entspann dich endlich mal. Sie hat heute Vormittag dreimal angerufen. Ich verstehe zwar nicht, warum, aber die findet wirklich was an dir. Hier!« Er hielt ihm die Tasse hin. Jay zögerte nur kurz, dann nahm er das Friedensangebot an. Die Tasse war natürlich aus angegilbtem Plastik, wie fast alles in diesem Haushalt. Jay nahm einen großen Schluck Kaffee und verzog angewidert den Mund.
»Tja, ist leider schon kalt. Kein Strom, kein heißes Wasser mehr«, meinte Aidan. Ungerührt nahm er die Glaskanne mit dem restlichen Kaffee und trank direkt daraus. Du würdest wohl auch Motoröl trinken, dachte Jay.
»Was waren das für Karten?«, wollte Aidan wissen.
»Dafür, dass du bis gestern nicht mal mit mir reden wolltest, bist du ganz schön neugierig.«
»Bis gestern dachte ich auch noch, du bist einfach
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